Kühe gehören auf die Weide - und dürfen im Bioland grasen, so oft es geht und so viel sie wollen (Foto: Sonja Herpich/Bioland)

Mit vier Mägen gegen die Erderwärmung

Warum die Kuh auf der Weide doch das Klima retten kann

18.07.2022

Die Kuh hat einen schlechten Ruf. Sie pupst und rülpst und wird deshalb für den Klimawandel mitverantwortlich gemacht. Doch ist sie wirklich der Klimakiller, für den man sie hält? Nein - wenn sie auf der Weide steht.

Von Bioland

Weiden, so weit das Auge reicht. Wer einmal im Allgäu Urlaub gemacht hat, kann sich sicher noch gut an die saftigen Weiden und Wiesen erinnern, an die gemütlich grasenden Kühe, an die dampfenden Kuhfladen. Für viele Regionen in Deutschland ist sogenanntes Grünland landschaftsprägend. Auf fast 30 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche wachsen dauerhaft Gräser und Kräuter, die beweidet oder gemäht werden. Von 1,7 Mio Hektar Ökoflächen in Deutschland wurden im Jahr 2020 etwa die Hälfte, also 880.000 Hektar als Grünland genutzt.
Grünland dient in erster Linie als Futterlieferant. Dabei unterscheidet man zwischen Weiden, auf denen die Tiere direkt das Raufutter abfressen, und Wiesen, die gemäht und anschließend als Heu oder Silage an die Tiere verfüttert werden. Aber Weide ist nicht gleich Weide. „Es gibt so viele Weidesysteme, wie es Bauern gibt“, sagt Christoph Schinagl, Bioland-Berater für Grünland und Rinderhaltung. Die Zusammensetzung der Pflanzen ist stark regional abhängig und die Art der Bewirtschaftung muss ständig angepasst werden.

Was ist Weide-Management?


Weidemanagement ist die gezielte Bewirtschaftung und Führung der Weide. Dabei müssen Landwirt*innen viele Faktoren beachten, zum Beispiel das Gleichgewicht von Fläche und Anzahl der Tiere sowie regionale Bedingungen wie Bodenbeschaffenheit und Wasserverfügbarkeit. Dabei gehen sie sehr unterschiedlich vor: So stehen zum Beispiel bei dem einen wenige Tiere auf einer großen Fläche, beim nächsten Betrieb wandern die Tiere von Koppel zu Koppel. Weiden erhalten sich nicht per se von selbst, sie müssen gedüngt, nachgesät und abgegrast werden, um das Pflanzenwachstum anzuregen. Denn Weide ist immer ein Zusammenspiel von Gras, Graser und Landwirt*in. Richtig durchgeführt pflegt ein gutes Weidemanagement das Ökosystem, erhöht Artenvielfalt und Bodenfruchtbarkeit und hilft beim Speichern enormer Mengen Treibhausgase.


Wozu braucht es Grünland?

Im Angesicht des Klimawandels kommt dem Grünland neben dem Futter eine wichtige Aufgabe zu: Es ist ein mächtiger und im Gegensatz zu Ackerland besserer Kohlenstoff-Speicher – und das dauerhaft. Warum ist das so wichtig? In die Luft freigesetzter Kohlenstoff verbindet sich mit Sauerstoff zu CO2; das wiederum ist eines der schädlichen Treibhausgase, die zur Erderwärmung beitragen. Welche Aufgabe übernimmt also das Grünland? Pflanzen auf Wiesen und Weiden ziehen CO2 aus der Luft, weil sie es zum Leben und Wachsen brauchen. Sie spalten das CO2 auf und binden Kohlenstoff in ihren Wurzeln und im Pflanzenkörper.

Kuhfladen einer Bioland-Kuh auf einer saftigen Wiese
Kuhfladen sind wertvoller Dünger und Lebensraum zugleich

 

Kühe, die auf Weiden stehen, fressen zwar Teile der Pflanzen ab, nehmen also den Kohlenstoff wieder auf. Sie setzen die Pflanzen jedoch in Fleisch, Milch und Dung um. Die Hinterlassenschaften von Rindern auf der Weide sind ein wichtiger Teil der Kreislaufwirtschaft auf Bio-Betrieben. So können Bioland-Bäuerinnen und -Bauern auf chemisch-synthetische Dünger verzichten. Diese sind zwar einfacher und schneller für die Pflanze verfügbar, doch hat ihre Nutzung verheerende Folgen für die Umwelt. Allein für die Herstellung synthetischer Düngemittel werden fossile Ressourcen wie Erdöl und enorm viel Energie benötigt, Unmengen an CO2 gelangen in die Luft. Das ist schlecht fürs Klima.

 

Einmal ausgebracht, entsteht vor allem bei mineralischen Stickstoffdüngern, die in der konventionellen Landwirtschaft zum Einsatz kommen, zudem Lachgas, eines der schwerwiegendsten Treibhausgase. Es ist 300-mal klimaschädlicher als CO2. Laut dem Europäischen Stickstoffassessment entweichen pro 100 Tonnen ausgebrachter Dünger zwei bis fünf Tonnen Lachgas. Ein klimaschädlicher Effekt, den Biobetriebe durch Kreislaufwirtschaft und Weidehaltung vermeiden. Und dabei noch Humus aufbauen.
Denn nicht abgefressene Gräser und Kräuter sterben nach ein, zwei Jahren ab, werden von verschiedensten Bodenlebewesen zu organischer Masse zerkleinert und in den Boden eingearbeitet. Dabei helfen ihnen auch die Organismen, die von und in den Kuhfladen leben. Ein großes Plus für den Schutz von Biodiversität auf Bio-Weiden und -Wiesen.

Diese organische Masse ist der wertvolle Humus, der den Boden fruchtbar macht und wahre Superkräfte hat: Humus besteht zur Hälfte aus Kohlenstoff, 2 Tonnen Humus enthalten also eine Tonne Kohlenstoff, die aus 3,7 Tonnen CO2 aus der Luft gespalten wird. 3,7 Tonnen CO2, die aus der Atmosphäre entfernt wurden und das Klima entlasten.
Doch damit nicht genug: Anders als bei Ackerland verbleibt bei Grünland deutlich mehr Kohlenstoff im Boden, da die dort wachsenden Pflanzen nicht so viel davon zum Wachsen verbrauchen wie zum Beispiel Kartoffeln oder Getreide auf dem Acker. Weiden und Wiesen sind dazu auch dicht und ganzjährig bedeckt. Und „je dichter und dauerhafter Böden bewachsen sind, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Humus abgebaut wird“, schreibt Anita Idel in ihrem Bestseller „Die Kuh ist kein Klima-Killer!“. Der Erhalt von Grünland mit Rindern, Schafen und Ziegen ist ein wichtiger Beitrag zum Klimaschutz. Denn ein Umbruch zu Ackerland würde große Mengen CO2 freisetzen.

Ist die Kuh ein Klima-Retter?

"Ja, wenn sie auf der Weide steht", sagt Christoph Schinagl. Er berät unsere Betriebe zu Rinderhaltung und Weidemanagement. Welche Leistung die Weide unter den Rinderklauen fürs Klima bringt und warum jeder mal in einem Kuhfladen stochern sollte, erzählt er in unserem neuen Podcast. An seiner Seite: Wolfgang Birk, der im Projekt „Kuh pro Klima“ eine besonders klimafreundliche Weidehaltung ausprobiert - und einen Geheimtipp für leckere Allgäuer Kasspatzen hat.

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Neben dem aktiven Klimaschutz als Kohlenstoff-Senke kann Grünland einen wichtigen Teil der Klimaanpassung in der Landwirtschaft übernehmen. Durch die Klimaveränderungen beobachten wir immer mehr Starkregenereignisse. Statt gemäßigtem andauernden Landregen kommt das Wasser in vielen Regionen in kurzen, heftigen Sturzbächen runter. Humusreicher Boden ist in der Lage, viel Wasser in sehr kurzer Zeit wie ein Schwamm aufzusaugen und so Überschwemmungen abzupuffern. Dazu speichert Humus das 20-Fache seines Gewichts an Wasser, eine überlebenswichtige Fähigkeit gerade mit Blick auf immer heißere Sommer und längere Trockenperioden.

Grünland genießt besondere Förderung

Der Erhalt von Grünland hat sowohl im Natur- und Umweltschutz als auch in der Agrarpolitik eine hohe Priorität. Es wird politisch besonders gefördert und darf nicht einfach in Ackerland umgewandelt werden. Unter Dauergrünland versteht man jene Flächen, die länger als fünf Jahre als Grünland genutzt werden. In umweltsensiblen Gebieten darf Dauergrünland weder umgewandelt noch gepflügt werden. In den anderen Gebieten benötigt der Landwirt eine Genehmigung der zuständigen Behörde, wenn er die Nutzungsart derartiger Flächen ändern will.


Ja, die Kuh pupst und rülpst und stößt dabei auch klimaschädliches Methan aus. Dieses Problem sehen die Landwirt*innen bereits. So testen einige aktuell eine veränderte Pflanzenzusammensetzung auf den Weiden, die dazu führt, dass die Kuh weniger Methan produziert.  

Betrachtet man die Kuh jedoch nicht isoliert als Methan-Produzentin, sondern als Teil eines Systems, werden die Klimavorteile einer nachhaltigen Weidehaltung klar:

  • Die Kuh düngt die Flächen auf natürlichem Weg, ohne Lachgase und klimaschädliche Ressourcenverschwendung
  • Ihre Ausscheidungen fördern die Biodiversität auf den Weiden
  • Grünland ist einer der wichtigsten Kohlenstoff-Speicher durch Humusaufbau und -erhalt
  • Grünland puffert Überschwemmungen ab und speichert Wasser für Trockenperioden

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