Wohin mit den Kälbern?
Von der unausgeglichenen Nachfrage zwischen Bio-Milch und Bio-Fleisch
Bio-Milch ist hochgradig beliebt. Bio-Kalbfleisch landet hingegen bei wesentlich weniger Menschen im Einkaufskorb. Ein Ungleichgewicht, das Probleme bereitet. Doch Menschen wie Bioland-Landwirt Gerhard Klausmann streben nach Lösungen und finden Wege, um die Kälber im eigenen Kreislauf zu halten, statt sie in die konventionelle Landwirtschaft abzugeben.
Saftig grüne Weiden, grasende Kühe, ein Schwarzwaldhaus mit Geranien am Balkon. Die perfekte Bauernhof-Idylle. Doch ganz so einfach ist es leider nicht. Auf dem Unteren Haasenhof von Gerhard Klausmann in der Nähe von Freiburg leben rund 60 Milchkühe. Damit sie auch weiterhin Milch geben, bekommen sie etwa einmal im Jahr ein Kalb. Doch diese Kälber können nicht alle auf Gerhards Hof bleiben. Und hier beginnt das Problem.
Viele landwirtschaftliche Betriebe – auch Bio-Betriebe – haben sich mit den Jahren spezialisiert. So halten die meisten von ihnen entweder Milchkühe oder Mastrinder für die reine Fleischerzeugung. Deshalb stehen insbesondere die Milchviehbetriebe vor dem Dilemma, ihre männlichen Kälber, aber auch weibliche Kälber, die nicht zur Nachzucht auf dem Hof bleiben, abgeben zu müssen. So läuft es auch bei Gerhard. Von den durchschnittlich 50 bis 55 Kälbern, die in einem Jahr auf seinem Hof geboren werden, zieht der Landwirt 10 bis 15 weibliche Kälber selbst auf. Alle anderen werden verkauft.
Aber das ist einfacher gesagt als getan. Denn Bioland-Milchviehbetriebe versuchen möglichst, ihre Kälber an andere Bio-Betriebe zu verkaufen, die die Tiere mästen können. Da aber Bio-Fleisch nicht so stark nachgefragt wird, wie die Bio-Milch, gerät die Vermarktung der Kälber ins Stocken. Zwar sei laut Gerhard - nicht zuletzt durch die Corona-Pandemie - die Nachfrage nach Bio-Rindfleisch etwas gestiegen, doch gerade für Kalbfleisch fehle der Absatz. Zusätzlich wirkt sich die geringe Nachfrage auf den Preis aus. So würden selbst die Milchviehbetriebe, die Kälber mästen könnten, ein Minusgeschäft machen. "Wenn man vom Bio-Metzger nur 7,50 Euro pro Kilo Kalbfleisch bekommt, dann geht die Rechnung nicht auf", erklärt Gerhard. Nötig wären viel eher 10 oder 11 Euro, damit die Kosten für Futter und Pflege gedeckt sind. So sind viele Bio-Bauern gezwungen, ihre Kälber konventionell zu vermarkten. Diese gehen dann direkt zu konventionellen Kolleg*innen in der Region oder über den Viehhandel in die konventionelle Kälber- oder Bullenmast.
Mit Eigeninitiative zu mehr Tierwohl
Diese Erfahrungen hat auch Gerhard gemacht. Seine männlichen Kälber kann er glücklicherweise seit zwei Jahren an einen Bio-Bullen-Mäster aus der Region verkaufen. Doch für die weiblichen Kälber, die er nicht zur Nachzucht behalten kann, muss er andere Abnehmer finden – und zwar auf Auktionen. Oft gehen seine Kälber an ein Unternehmen aus Bremen und damit auf einen 700 Kilometer langen Transportweg. Ein absoluter Konflikt für Gerhard.
Gerhard Klausmann und der Untere Haasenhof
"Ich bin richtig früh in die Landwirtschaft eingestiegen, aber hab's keinen Tag bereut", sagt Gerhard Klausmann. Als sein Vater berufsunfähig wurde, pachtete er 2007 im Alter von nur 16 Jahren mithilfe eines Vormunds den elterlichen Hof in einem Ortsteil von Sankt Georgen im Schwarzwald. 2011 übernahm er ihn schließlich komplett und hat seitdem Einiges modernisiert. 2016 baute er einen neuen Milchviehstall, 2017 renovierte er den alten. Die Milch seiner und 60 Kühe verkauft er weiter an den Bioland-Partner Schwarzwaldmilch (https://www.schwarzwaldmilch.de/). Unterstützt wird der heute 29-Jährige vor allem von seinem Zwillingsbruder und seiner Freundin.
"Ich würde mir wünschen, dass die Kälber in der Region bleiben können – und genauso geht's auch vielen Kollegen", sagt der Landwirt. Aber Gerhard wünscht nicht nur, er macht auch. Gemeinsam mit Kolleg*innen aus der Landwirtschaft, Metzgereien und der Gastronomie setzt er sich auf einer Veranstaltung mit dem Thema "Kälbervermarktung" auseinander und am Ende entsteht ein Lösungsansatz, ein Versuch, ein Projekt.
Die Metzgerei Reichenbach (https://www.der-schwarzwaelder.com/) aus dem benachbarten Glottertal bietet an, zehn Kälber abzunehmen und zu testen, wie die Kalbfleisch-Produkte in Bioland-Qualität bei der Kundschaft ankommen. Man einigt sich auf einen Preis: 9 Euro pro Kilo. Und so stehen nun zwischen den ganzen Milchkühen auf dem Unteren Haasenhof auch fünf Mastkälber. Fünf weitere Kälber wachsen bei zwei Berufskollegen von Gerhard auf. Die Landwirte notieren, wie viel die Kälber fressen, wie sich entwickeln und wie viel sie wiegen. So wollen sie ein konkretes Modell mit den entscheidenden Angaben entwickeln, das sich andere Betriebe abschauen können. "Ich hoffe, dass unser Projekt gut anläuft, die Nachfrage da ist und dann auch mehr Landwirte nachziehen", sagt Gerhard.
Zu Bio-Milch gehört auch Bio-Fleisch
Aber woran fehlt's, damit Verbraucher*innen häufiger zu Bio-Kalbfleisch greifen? "An Bewusstsein", meint Gerhard. Zum einen müsse das Ungleichgewicht deutlich werden: Das Verlangen nach Bio-Milch und die Nachfrage nach günstigerem, konventionellen Fleisch passen eben nicht zusammen. Eine verstärkte Aufklärung über Haltungs- und Verarbeitungsbedingungen müsse bewirken, dass die Kund*innen bereit sind, auch mal etwas mehr Geld für ein gutes Stück Fleisch auszugeben. Und vielleicht müsse auch der Begriff "Kalbfleisch" ersetzt werden. „Viele Menschen assoziieren damit nämlich die kleinen, frisch geborenen Kälbchen statt der sechs Monate alten und 200 Kilo schweren Tiere. Das macht für einige eben doch einen Unterschied“, ist sich Gerhard sicher.
Immer mehr Betriebe gehen neue Wege
Mit ihrer Initiative sind Gerhard und seine Kolleg*innen keinesfalls allein. Das Problem ist allgegenwärtig und so haben sich schon mehrere Betriebe und Unternehmen zusammengefunden, um sinnvolle Vermarktungsmöglichkeiten für Kälber aufzubauen. Darunter zum Beispiel auch die Bruderkalb-Initiative Hohenlohe, die sogar kürzlich vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft mit dem Bundespreis Ökolandbau ausgezeichnet wurde. Für die vier Betriebe der Bruderkalb-Initiative Hohenlohe ist klar: Bio-Bruderkälber sollen auch auf Bio-Betrieben groß werden. Deshalb setzen die zwei Bioland- und zwei Demeter-Betriebe auf eine Mutter- und Ammengebundene Aufzucht und haben eine Wertschöpfungskette von Erzeugung bis Vermarktung für Bio-Kalbfleisch aufgebaut. Unterstützt werden sie dabei von der Bäuerlichen Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall. Unter einem eigenen Logo vermarktet die Initiative ihre Kalbfleischprodukte in der Direktvermarktung, über Metzgereien, die Gastronomie und den Lebensmitteleinzelhandel.
Auch Bioland-Berater Daniel Bischoff setzt sich für einen Systemwechsel ein. Deshalb hat er gemeinsam mit Milchviehhaltern, Ackerbaubetrieben und einem Bio-Schlachter ein Forschungsprojekt gestartet, das neue Wege ausprobiert. Für den vom Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz mitgetragenen niedersächsischen Landesversuch kreuzten die Milchviehhalter einen Teil ihrer Kühe mit muskelbepackteren Rassen, um Bruderkälber zu züchten, die mehr Fleisch ansetzen können. Mehr Infos zum Projekt folgen.
Weitere Initiativen, bei denen auch online Bio-Kalbfleisch bestellt werden kann, sind zum Beispiel:
• De Öko Melkburen
• Stögerhof
• Weideschuss
• Arche-Hof Birk
Auch wenn erst Ende Februar die ersten Kälber geschlachtet werden, ist das Projekt für Gerhard jetzt schon ein Gewinn. Wenn der Absatz da ist, will er weiterhin Kälber mästen, statt sie auf den langen Weg nach Bremen zu schicken. Dann möchte er sich sogar einen neuen mobilen Kälberstall anschaffen. Unterstützt wird das Projekt von der Bio-Musterregion Freiburg. Eine Webseite und ein Flyer sollen auf das Thema aufmerksam machen und Interesse bei Metzgereien, dem Handel und der Gastronomie wecken. "Wir haben keine Angst, neue Ansätze auszuprobieren", sagt Gerhard. "Irgendwer muss eben anfangen."
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