Draußen an der frischen Luft toben, fressen und die Gesellschaft von anderen Kühen genießen: so fühlen Kühe sich wohl (Foto: imago)

Nur keinen Stress, bitte!

Das braucht eine Kuh zum Wohlfühlen

14.07.2017

Glückliche Kühe grasen friedlich auf einer satten Wiese. Wie idyllisch! Denkt man. Aber: Das Leben ist keine Postkarte. Und mit dem Glück und den Tieren ist das auch nicht so ganz eindeutig. Was also braucht die Kuh wirklich?

Von Magdalena Fröhlich

Bilder aus dem Stall? Will keiner sehen. Kühe auf der Weide? Will jeder sehen. Man sieht sie aber kaum. Das liegt vor allem daran, dass es für Milchkühe keine Haltungsvorschriften gibt. Nirgendwo ist geregelt, wie viel Platz sie brauchen, oder ob sie an die frische Luft müssen. Bei Bio-Milchkühen, die aber keine fünf Prozent des in Deutschland gehaltenen Milchviehs ausmachen, ist das anders. Sie dürfen nicht dauerhaft angebunden werden und sie haben ihren eigenen Fressplatz sowie Einstreu und Auslauf.

Manchmal muss es eben der Stall sein

Wenn es auf der Weide nicht genügend Futter gibt, müssen Bio-Kühe länger im Stall gefüttert werden





Warum ist auch eine Bio-Kuh nicht immer draußen? Wenn etwa das Gras auch zur Futtergrundlage dient und kaum Regen fällt, so dass das Gras kaum wächst, dann muss die Kuh länger im Stall bleiben. So lange, bis der Bauer das Gras mähen kann. Das lässt er dann trocknen und verfüttert es im Winter als Heu. Ist das Gras nachgewachsen, kann die Kuh auf die Weide. Sehr kleine Betriebe, die oft mitten im Dorf liegen, können ihren Tieren alternativ zur Weide auch einen Laufhof anbieten, also eine Fläche am Stall, an der frischen Luft. Das ist aber die Ausnahme.


Nicht immer will eine Kuh aber nach draußen. "So um die fünf bis 15 Grad - da fühlt sich die Kuh am wohlsten", sagt Tierarzt Leopold Deger. Deshalb braucht eine Kuh im Sommer auf jeden Fall ein schattiges Plätzchen. "Eine Weide kann noch so üppiges Gras haben - die Kuh wird sich kaum wohl fühlen, wenn sie hier bei heißen Temperaturen keine Abkühlung findet", so der Tierarzt, der an der Uni München forscht und als Landtierarzt in Bayern arbeitet.

"Hat die Kuh einen Offenstall, wo sie rein- und rausgehen kann, wie sie möchte, kann es bei heißem Wetter vorkommen, dass sie im Stall auf dem blanken Beton liegt und genüsslich wiederkäut. Da hat sie es schön kühl - auch wenn das für uns vielleicht nicht so bequem aussieht." Deswegen lassen manche Bauern ihre Kühe im Sommer auch erst abends raus, damit es ihnen nicht zu heiß wird.

 

Eine Bioland-Kuh gibt 15 bis 20% weniger Milch als eine konventionell gehaltene Kuh

Die Menge macht's

Schadet es der Kuh, wenn sie so viel Milch gibt? Tierarzt Deger sagt: "Es ist immer schwierig, von 'glücklichen' Kühen zu sprechen oder zu sagen, wann ein Tier als krank gilt. Ein gängiger Witz unter Tierärzten ist: 'Eine gesunde Kuh ist eine zu wenig untersuchte.' Irgendetwas findet man immer - so wie bei anderen Lebewesen auch. Man würde einen alten Menschen, mit dem ein oder anderen Gebrechen ja auch nicht gleich als 'krank' bezeichnen." Man könne zwar feststellen, dass Kühe mit dieser enormen Milchleistung öfter eine Euterentzündung, also Mastitis, haben - aber das ein oder andere Mal hat das fast jede Kuh.


Futter ist entscheidend

Ob der Kuh etwas fehlt, wenn sie nicht auf die Weide darf, könne man, sagt Deger, nicht pauschal beantworten: "Wenn man es von der Evolution der Kühe her sieht, dann ist eine Weidehaltung das, was der Natur am nächsten kommt." Aber eine Weide allein reicht der Kuh noch nicht. Es geht schließlich nicht nur um Bewegung an der frischen Luft, sondern vor allem auch ums Futter. "Wenn sich die Kühe vor allem vom Weidegras ernähren sollen, dann muss man als Landwirt darauf achten, dass die Tiere hier alle Mineralstoffe und Spurenelemente bekommen. Eine Milchkuh ist so etwas wie ein Leistungssportler, sie kann nur Power geben, wenn auch die Ernährung stimmt", sagt Deger. Ist die Weide also eher mager, dann braucht die Kuh extra Futter. Ohnehin bekommen die meisten Tiere zusätzliches Kraft- und Eiweißfutter, also vor allem Getreide und Hülsenfrüchte, wie Soja oder Ackerbohne.

Der Kuh schadet das zusätzliche Futter nicht, erklärt der Tierarzt. "Wenn man einem Schaf ein Stück trockenes Brot gibt, dann ist das nichts anderes als Kraftfutter - das schadet dem Schaf nicht. Genauso ist es mit der Kuh, wenn sie Getreide zum Fressen bekommt. Es kommt halt immer auf die Menge an." Ohne Raufutter, also ohne Gras und Heu würde der Organismus der Kuh ohnehin nicht funktionieren – die Kuh hätte nämlich nichts zum Wiederkäuen. Kann die Kuh das nicht, würde sie übersäuern, Magen-Darm-Probleme bekommen und schlimmstenfalls sterben.

 

"Das ist die Natur"

Wenn eine Kuh zu wenig Energie bekommt, ist das aber auch nicht gut: Denn eine Kuh mit einer genetischen Veranlagung zu hoher Milchleistung würde mit reinem Raufutter abmagern. Deshalb wird man auf einem Biobetrieb kaum eine Kuh mit einer Milchleistung von über 8.000 Litern im Jahr finden. Denn hier ist es Pflicht, den Kühen Gras und Heu als Großteil ihres Futters anzubieten.

Von den Vorwürfen, Weidetiere seien kränker als solche, die im Stall leben, hält Deger übrigens nichts. "Wenn man einen Schlachtkörper eines Tieres untersucht, dann wird man bei einem Weidetier immer den ein oder anderen Wurm oder Parasit finden.

Das ist normal, das ist Natur. In einem hermetisch abgeriegelten Stall kann das natürlich nicht vorkommen. Aber schädlich ist das nicht, zumal man befallene Innereien wie Leber und Magen-Darm-Trakt dann nicht isst. Generell darf das Fleisch kranker Tiere nicht zum Verzehr freigegeben werden."  

 

Wer ist jetzt der Boss?

Rinder sind Herdentiere und machen die Rangordnung unter sich aus



Wie viele Tiere stressen eine Kuh? "Man kann nicht genau sagen, ab wie vielen Tieren die Kuh keinen Überblick mehr hat. Wenn man Wildrinder, wie zum Beispiel Bisons betrachtet, leben diese zeitweise in Herden von Tausenden Tieren. Aber die "Riesenherde" besteht aus einzelnen Unterherden von unter 100 Tieren, bei denen sich alle Individuen gegenseitig kennen und die Rangordnung untereinander klar ist", sagt Tierarzt Deger. "Die Tiere müssen sich gegenseitig ausweichen können. Können sie das nicht, wird das bei dominanten Tieren zu Rangeleien und somit zu Verletzungen führen, bei subdominanten Tieren zu ständigem Stress, weil sie nicht wissen, was sie tun sollen. Und Stress beeinträchtigt das Immunsystem was zu allen Arten von Erkrankungen führen kann."


Kuh mag keinen Stress

Aber auch, dass Tiere mit Weidegang automatisch gesünder seien oder weniger Medikamente bräuchten, könne man nicht pauschal sagen. "Je mehr Bewegung eine Kuh hat, desto fitter sind ihre Gelenke und desto robuster ist auch das Immunsystem." Häufige "Kuhprobleme", wie Euterentzündungen, haben aber nichts mit Weidehaltung zu tun. "Die Kuh soll nach dem Melken eine Weile stehen und braucht dann einen sauberen und trockenen Platz, wo sie sich hinlegen kann, bis das Euter wieder verschlossen ist - egal ob sie im Stall oder draußen liegt - wenn es dreckig und feucht ist, gelangen schnell Keime in das empfindliche Organ und eine Entzündung ist programmiert."

Was eine Kuh generell nicht mag, ist Stress: "Eine Kuh braucht Routine, sie ist ein Gewohnheitstier. Deshalb muss man sie regelmäßig zur gleichen Uhrzeit melken, es sei denn, man hat einen Melkroboter und die Kuh kann selbst entscheiden, wann sie gemolken werden möchte." Stress erleidet eine Kuh laut Deger außerdem, wenn sie nicht genau weiß, wie sie sich anderen Kühen gegenüber verhalten soll, und ihnen nicht aus dem Weg gehen kann. Entscheidend sei also weniger die Größe des Tierbestandes als vielmehr der Platz.

 

Weidefläche bietet ideale Nahrungsgrundlage

Das Wiederkauen ermöglicht dem Rind Gras und andere rohfaserreiche Pflanzen zu verdauen





Anders als Wiederkäuer können Menschen Gras nicht verdauen. Es gibt somit keine Konkurrenz zu Flächen für die menschliche Ernährung. Denn viele Weiden liegen an Hängen, auf denen man sowieso keinen Acker anlegen kann - sie sind für den Mähdrescher zu steil. Füttert man den Kühen dagegen viel Eiweiß- und Kraftfutter zu, muss dieses extra angebaut werden: Das kostet Fläche und Ressourcen wie Wasser und Energie. Die Weide dagegen bietet mit ihrem Grünland auch anderen Tieren und Pflanzen einen Lebensraum und speichert zudem CO2: mit weltweit 588 Milliarden Tonnen fünfmal mehr Kohlenstoff als Ackerland. Damit liegt es nach Mooren und Feuchtgebieten auf Platz zwei. Das Image vom "Klima-Killer" können Weidekühe demnach abstreifen, zumal für Grünland, anders als beim konventionellen Ackerbau auch kein mineralischer Dünger nötig ist, der dem Klima schadet.

 


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