"Es braucht etwas Pfiff"
Profikoch Karsten Bessai gibt Tipps für eine frische Winterküche
Wirsing oder Rosenkohl, und das ganze zu Matsch verkocht - für manch einen ein kulinarisches Kindheitstrauma. Doch es geht auch anders, sagt Karsten Bessai. Im Interview verrät der Profikoch, wie man auch im Winter frisch, gesund und lecker isst.
Den Sommer verbindet man mit einer riesigen Auswahl an frischem Obst und Gemüse, beim Winter denkt man eher an Eingemachtes. Gibt's denn im Winter gar nichts Frisches?
Karsten Bessai: Doch, die ganz klassischen Wintergemüsesorten: Grünkohl, Topinambur, Rosenkohl. Außerdem gibt's immer Wirsing, Blaukraut oder Weißkohl. Dazu kommt die Herbstware, also alles, was gut eingelagert werden kann: sämtliche Rüben wie Pastinaken, Petersilienwurzeln, Karotten. Das ist eine ziemlich bunte, aber auch erdige Vielfalt. Und genau das bereitet manchmal ein paar Probleme. Es braucht eine pfiffige Herangehensweise und einfach ein bisschen mehr Fantasie. Das ist auch gerade der Reiz an der Geschichte.
Hätten Sie einen Tipp für Menschen, die in der Küche noch nicht ganz so viel Fantasie haben?
Bessai: Das Allheilmittel gibt's nicht. Man muss den kompletten bunten Blumenstrauß bemühen. Öle sind da zum Beispiel ein Thema. Nuss passt auch oft gut. Außerdem brauchen diese erdigen Sachen auch immer etwas Spritziges. Da kommt vielleicht mal ein saurer Apfel, Birne, Quitte, Zitronen- oder Orangenabrieb zum Einsatz, um das Ganze ein bisschen lebendig zu machen. Wer es raffinierter mag, kann ins Blaukraut zum Beispiel getrocknete Pflaumen oder Cranberries geben. Dann hat man zum einen dieses wohlig-weihnachtliche Kraut vor sich, das aber doch geschmackstechnisch überrascht.
Zur Person
Bioland-Küchenchef Karsten Bessai ist ein Genusshandwerker mit Wurzeln in der Landwirtschaft und schaut auf über 13 Jahre Erfahrung als Küchenchef in der Verwendung von regionalen Bio- Lebensmitteln zurück. Seit zwei Jahren ist er als Freiberufler unterwegs und gibt als Berater für Gastronomie, Hotellerie und Lebensmittelwirtschaft seine Erfahrung weiter. Mit Herz und Verstand begeistert er für eine lebendige, vielseitige und nachhaltige Koch- und Genusskultur.
Rotkohl und Sauerkraut finden ja meist recht viele Abnehmer, andere Kohlsorten sind eher unbeliebt. Wie bringen Sie auch Kohl-Verächter auf den Geschmack?
Bessai: Viele zehren noch von ihren Kindheitserinnerungen. Da wurde der Wirsing durch den Fleischwolf gedreht, und das war allein optisch nicht wirklich lecker. Generell gilt: halb tot gekocht, grau und matschig - das wollen wir nicht mehr! Ich persönlich finde: Wenn man den Kohl knackig kocht, mit einem schönen Öl oder Butter, Zwiebeln und Kräutern rangeht, dann ist das eine gute Sache. Rosenkohl, der mit am häufigsten polarisiert, schmeckt aber zum Beispiel auch im Kartoffelauflauf sehr gut. Das Ganze mit ein paar Gorgonzola-Ecken überbacken - dann hat man ein nettes Gericht.
Wie sieht's fernab der deftig-winterlichen Küche aus? Kann ich auch im Dezember und Januar mit saisonalen Zutaten der sommerlichen Küche Konkurrenz machen?
Bessai: Eigentlich eine einfache Übung: Da denke ich an die asiatische und an die italienische Küche. Aus Karotten, Weißkohl und ein paar Kräutern könnte man zum Beispiel ein schönes Wokgericht machen - vielleicht in Verbindung mit Kokos, Zitronengras und Koriander. Das ist einfach eine Sache der Gewürze und der Herangehensweise. Und auch in der italienischen Küche kann man super Wurzelgemüse einsetzen. Wenn man zum Beispiel Pastinaken und violette Urkarotten mit einem Sparschäler in lange Streifen schneidet oder einen Spiraldreher benutzt, bekommt man bunte und super leichte Gemüsenudeln.
An den Festtagen bleibt die Völlerei trotzdem nicht aus. Wie schafft man da eine gesunde Balance zwischen den Jahren?
Bessai: Im Endeffekt sollte man darauf achten, dass man sich ein paar enthaltsame Pausen gönnt. Man kann ruhig einfach mal eine Mahlzeit auslassen. Es empfiehlt sich auch, zwischendurch nur Gemüse zu essen. Zum Beispiel Wirsingrouladen, gefüllt mit einem Süßkartoffelpüree und dazu karamellisierte Maronen und Brokkoli-Röschen. Davon wird man satt - aber es liegt nicht so schwer im Magen.
Wenn zwischen den Jahren eine Einladung auf die nächste folgt, kommt man kaum dazu, seine eigenen Reste aufzubrauchen. Wohin mit denen?
Bessai: Mein Appell wäre prinzipiell, die Mengen realistisch einzuschätzen statt ganz bewusst zu viel zu kochen. Wenn trotzdem mal etwas übrigbleibt, kann man Suppen und Kraut ganz einfach nochmal aufkochen, in Gläser abfüllen und dann im Kühlschrank aufheben. Aus Knödeln mache ich gern Geröstel. Und aus den Gemüseresten, die beim Kochen so anfallen, kann man übrigens auch noch einen guten Fond ansetzen. Angeschnittene Kohlköpfe wickelt man am besten in ein feuchtes Küchentuch und packt sie in eine luftdichte Dose. So hält der Kohl sich im Kühlschrank einige Tage. Man kann den restlichen Kohl aber auch ganz einfach fermentieren: reiben, würzen und in ein Glas packen.
An Optionen mangelt es offenbar nicht. Was fehlt noch für eine gesunde Winterküche?
Bessai: Eigentlich nur Mut. Die geschmackliche Vielfalt bei den Wintergemüsen ist toll, und man muss sich nur mal rantrauen. Diese klassischen Gerichte wie durchgekochten Grünkohl will keiner mehr. Wenn man da ein bisschen kreativer rangeht, dann kann man auch richtig Gas geben. Aus Grünkohl kann man zum Beispiel sehr gut Chips machen. Einfach die Blätter vom Strunk entfernen, ganz leicht ölen und salzen, ein bisschen Pfeffer dran und dann einfach im Ofen antrocknen. Heraus kommen ganz krosse, angenehm würzige Chips, die man auf einem Salat anrichten oder abends vorm Fernseher essen kann. Eine sehr raffinierte und dennoch einfache Geschichte.
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