“Wir müssen die Brüder mitdenken“

Am 19. März ist offizieller Tag des Geflügels. Dessen Stellung sollte ein Verbot des Schredderns männlicher Küken vor gut einem Jahr deutlich verbessern. Damit die Aufzucht der Bruderhähne gelingt, müssen allerdings nicht nur die Geflügelhalter umdenken – sondern auch jeder, der ein Ei isst

Die Natur ist meist auf Ausgleich bedacht. Wo ein Sommer ist, ist auch ein Winter. Nach der Ebbe kommt die Flut. Und für jede Henne schlüpft auch ein Hahn aus dem Ei. Früher landeten diese nach einiger Zeit gebraten auf dem Tisch oder gekocht im Suppentopf. Doch seit in den 1960er Jahren Legehennen auf Leistung gezüchtet wurden, nahm das Körpergewicht dieser Rassen immer weiter ab. Während ein Hahn einer Mastrasse schon nach etwa sechs bis sieben Wochen rund 2,5 Kilogramm Lebensgewicht auf die Waage bringt, braucht der Bruder einer Legehenne bis zu 22 Wochen – und entsprechend mehr Futter. Am Ende ist trotzdem nur rund die Hälfte seines Gewichts nutzbar, beim Masthahn sind es etwa 70 Prozent.
Bis vor gut einem Jahr war es daher üblich, männliche Küken zu töten. Seit Beginn des Jahres 2022 darf in Deutschland jedoch kein Hahn mehr unmittelbar nach dem Schlüpfen allein auf Grund seines Geschlechts getötet werden: Sie sollen als so genannte Bruderhähne mindestens bis zur Schlachtreife aufgezogen werden. Die Brathähnchen in Restaurants und Supermarkttheken sind dadurch allerdings nicht merklich kleiner geworden – hier liegen nach wie vor nur Tiere von Mastrassen. Auch für Chicken Nuggets sind die Brüder der Legehennen denkbar ungeeignet, denn durch die lange Aufzuchtzeit ist ihr Fleisch viel zu teuer für die Fast Food Happen. 239 Eier verspeist jeder Deutsche im Durchschnitt pro Jahr, die von 43,7 Millionen Hennen gelegt werden. Damit müssten wir – rein theoretisch – seit der Silvesternacht 2022, als das Gesetz in Kraft trat, von einem Tag auf den anderen auch 43,7 Millionen Hähnen Kost und Logis anbieten. Der Bruder einer Legehenne frisst bis zur Schlachtreife etwa elf Kilogramm Futter, das wäre entsprechend ein zusätzlicher Jahresbedarf von 480.700 Tonnen Hühnerfutter. „Wir haben eben früher im Kopf nie die Hähne mitgezählt“, meint Johannes Erkens, auf dessen Bioland Betrieb Kudammhof in Adelheidsdorf die Bruderhähne bereits seit 2012 mit aufgezogen werden, „und vielen fällt es bis heute schwer zu verinnerlichen, dass zu jeder Henne ein Hahn einfach mit dazugehört. Aber wir müssen die Brüder mitdenken.“
Manche seiner Kollegen setzen daher auf so genannte Zweinutzungshühner. Anders als bei Brüderhähnen leistet bei ihnen auch der Hahn maßgeblich seinen wirtschaftlichen Beitrag. Er bringt etwas mehr Gewicht auf die Waage als ein Bruderhahn. Seine Schwestern legen dafür jedoch mit rund 230 Eiern im ersten Jahr weniger als übliche Legehennen. Eine Geschlechterbestimmung schon im Ei, nach der dann nur die weiblichen Tiere schlüpfen dürfen, lehnt Bioland – wie auch die anderen Bio-Anbauverbände – strikt ab. Denn das Geschlecht lässt sich erst nach dem 8. Bebrütungstag bestimmen, nach dem 6. Tag können die Embryonen jedoch bereits Schmerzen empfinden. Eine Vernichtung der Eier mit männlichen Küken ist also im Grunde genommen nur ein vorgezogenes Schreddern.
Auf dem Kudammhof werden keine Zweinutzungshühner, sondern die Brüder von Legehennen aufgezogen – und davonprofitieren auch die weiblichen Tiere. Normale Legehennen leben nur ein knappes Jahr - dann lässt die Legeleistung nach und sie werden ausgetauscht. Auf dem Kudammhof aber dürfen manche Gruppen bis zu zwei Jahre Lebenszeit genießen: Je länger sie leben, desto weniger Bruderhähne müssen mit aufgezogen werden. Der Verlust an Eiern, der dadurch entsteht, ist immer noch wirtschaftlicher, als die doppelte Menge an Brüdern aufzuziehen.
Damit die Legehennenhaltung für den Kudammhof wirtschaftlich bleibt, muss nicht nur Erkens die Hähne mitdenken, sondern auch seine Kunden. Allein über das Fleisch können die Hähne den Betrag, den ihre Aufzucht kostet, nicht decken. Deshalb müssen ihre Schwestern das Geld nach Hause bringen: „Wir müssen für jedes Ei drei Cent mehr nehmen, um die Aufzucht der Bruderhähne finanzieren zu können“, erklärt Erkens. Einen Gewinn macht der Kudammhof trotz Bruderhahn-Fleischverkauf dabei nicht. „Das war für unsere Kunden zunächst gewöhnungsbedürftig. Aber wenn man es ihnen gut erklärt, sind die meisten bereit, das mitzutragen, was wir den Hähnen hier bieten.“
Und das ist ein schönes Leben: Rund 120 Tage dürfen die Bruderhähne auf dem Kudammhof nach Bioland-Richtlinien erwachsen werden. Sie dürfen in der Sonne baden und wissen, wie Gras schmeckt. „Das sind ganz schön lebhafte Kerle“, schmunzelt Erkens. „Anders als schwere Masthähnchen, die keinen großen Bewegungsdrang haben, rennen und flattern die schlanken Brüder der Legehennen munter durch die Gegend.“  Das Ergebnis ist am Ende ein Muskelfleisch, das ganz anders schmeckt als gewohnt - eher nach Fasan als nach Huhn. Wer sich einen Bruderhahn als Sonntagsbraten gönnt, mag zwar weniger Fleisch auf dem Tisch haben, dafür aber umso mehr Aroma
 „Wofür ein Betrieb sich entscheidet – ob für Bruderhähne oder für Zweinutzungsrassen – muss am Ende jeder selber wissen“, findet Erkens. „Für uns sind die Bruderhähne der richtige Weg. Wenn ich mir die so anschaue, dann denke ich manchmal: Das sind schon coole Tiere.“

Mitarbeit: Franziska Heuer

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