Essen, um zu schützen

Alte Nutztierrassen bringen Vielfalt auf die Höfe. Verbraucher *innen können etwas dazu beitragen, ihren Bestand dauerhaft zu sichern: sie grillen und braten

„Eigentlich kann sie gar nichts“, gesteht Daniel Wehmeyer. „Sie gibt nicht viel Milch und hat kaum Fleisch auf den Rippen. Im Grunde genommen sieht sie aus wie Kleiderständer, dem jemand ein Kuhfell übergeworfen hat.“ Trotzdem züchtet der Bioland Landwirt seit über zwanzig Jahren nichts anderes als Harzer Rotes Höhenvieh. „Denn natürlich finde ich sie großartig“, lacht er und seine Stimme wird dabei ganz weich. „Ein Blick aus diesen hübschen großen Augen und man verzeiht ihr alle Mängel.“ Dass die Zucht der alten Rasse sich für Wehmeyer trotzdem lohnt, hat vor allem zwei Gründe. Zum einen ist das Rote Harzer Höhenvieh mit seinem schlanken und sportlichen Körperbau extrem geländegängig. Angepasst an die unwegsamen Bergwiesen des Oberharzes eignet es sich hervorragend zur Pflege von Naturschutzflächen. Und zum anderen ist es eine Art lokale Ikone: „Früher hatte jede Familie hier ein oder zwei Rote hinter’m Haus stehen – als Zugtier, für Milch und am Ende für Fleisch. Die älteren Menschen hier verbinden alle Kindheitserinnerungen mit dem Roten Harzer Höhenvieh.“
Alte Rassen sind im Trend. Mit der Begeisterung für’s Grillen wuchs in den vergangenen Jahren auch der Wunsch der Verbraucher*innen nach Fleisch, das sich deutlich von der Billigware aus den Discounter-Regalen abhebt. Für Fleisch, das in Bio-Qualität, regional und nachhaltig produziert wurde, sind viele Kunden auch bereit, mehr Geld zu zahlen. Die Nachfrage ist zudem in Corona-Zeiten, wo weniger in der Kantine und mehr zu Hause gegessen wird, noch einmal deutlich gestiegen: Wer sein Essen selber zubereitet, möchte genau wissen, was in der Pfanne liegt. „Unser Harzer Rotes Höhenvieh ist für die Einheimischen hier eben keine anonyme Massenware, sondern der Inbegriff von Kuh“, erläutert Wehmeyer. „Das Geschäft mit dem Fleisch ist entsprechend auf diese Region zugeschnitten.“
Das sieht Nadja Poppen aus Aurich ähnlich. Sie hat sich zusammen mit ihrem Mann Herrmann auf die Zucht alter Schweinerassen spezialisiert. Auf ihrem Hof Sonnenschein tummeln sich unter anderem Angler Sattelschweine, schwedische Linderöd und die alte DDR-Rasse Leicoma. „Wir verkaufen das Fleisch unserer Tiere ausschließlich regional über unsere Verkaufshütte am Hof, an ausgewählte Restaurants und auf Märkten“, erzählt sie. „Wir arbeiten sehr transparent und das schätzen unsere Kunden.“ Dazu gehört auch, dass der Angler Sattelschwein Eber Graf Bobby von Sonnenschein auf Instagram regelmäßig Einblicke in das Hofleben gewährt. „So können die Leute zusehen, wie unsere Tiere aufwachsen.“
Auf die alten Rassen sind Poppens gekommen, als sie ihren Betrieb nach Bioland-Richtlinien auf ökologischen Landbau umgestellt haben. Durch die andere Futterzusammensetzung im Biolandbau gab es Probleme mit den Hochleistungssauen - deren Ziel in der Zucht es ist, viele Ferkel zu bekommen und groß zu ziehen. „Wir wollten sowieso weg von dieser Hochleistungszucht“, erinnert sich Nadja Poppen. „Und auf dem Hof hatten wir bereits zwei Angler Sattelschweine, die fanden das neue Futter prima.“ Bald kamen zu den Anglern noch die hübschen gefleckten Linderöd und die robusten Leicoma. Seitdem ist nicht nur das Futter auf dem Hof Sonnenschein anders. „Vor allem die Angler und die Linderöd unterscheiden sich vom Charakter her von den konventionellen Zuchttieren“, berichtet Poppen. „Sie sind viel friedlicher und sehr auf uns Menschen bezogen.“
Friedlich sind auch die Deutschen Lachhühner von Sebastian Seelig: „Mit ihrem Bart, den Puschen an den Füßen und dem lockeren Gefieder kommen sie schon äußerlich sehr gemütlich rüber“, beschreibt der Bioland-Hühnerhalter aus Waddeweitz im Wendland seine Hühner. Außerdem zeichnen sie sich durch einen sehr ruhigen Charakter aus. „Diese Gemütlichkeit beginnt beim Lachshuhn schon im Ei: mit einer etwas geringeren Bruttemperatur und einer um einen Tag verlängerten Brutdauer.“ Und sie endet tatsächlich erst bei der Zubereitung, denn damit die Fetteinlagerungen im Fleisch geschmacklich richtig gut zur Geltung kommen, braucht auch die mehr Zeit als bei einem konventionellen Masthuhn. „Das Deutsche Lachhuhn ist sozusagen der Inbegriff von Slowfood“, bringt Seelig es auf den Punkt.
Der Slowfood-Bewegung hat er es zu verdanken, dass er überhaupt Lachshühner halten kann. Denn der Slowfood Chef-Alliance-Koch Jens Witt suchte für sein Kindergarten-Catering "Wackelpeter" ein Zweinutzungshuhn. Viele Eier sollte es legen und trotzdem genug schmackhaftes Fleisch ansetzen. „Bei uns läuft die Vermarktung von Eiern, Hähnen und den Suppenhennen im Rahmen des Lebensmittelbündnisses direkt an Wackelpeter“ erklärt Seelig seine Vermarktung. „Jens Witt garantiert uns die Abnahme zu fairen Preisen, damit wir austesten können, ob man so eine alte Rasse auch wieder als Wirtschaftsgeflügel einsetzen kann.“ In der freien Vermarktung hätten es zumindest die Eier der Lachhühner schwer: „Realistisch betrachtet müsste ein Lachshuhn-Ei mindestens einen Euro erlösen, was absolut utopisch ist - auch wenn die Eier mit ihrem cremigen Dotter tatsächlich außerordentlich lecker sind.“ Eine Henne legt durchaus bis zu 440 Eier. Anders als eine klassische Legehenne braucht sie dafür aber mehr als vier Jahre, bevor sie geschlachtet wird. Deshalb testet Seelig gerade mit einer Kreuzung vom Lachhuhn mit einer Legerasse, ob sich die Legeleistung noch steigern lässt.
Viele der alten Nutztier-Rassen waren bereits vom Aussterben bedroht. Und so paradox es klingt: Damit sie weiterbestehen können, müssen sie gegessen werden. Denn nur wenn die Nachfrage entsprechend groß ist, können Betriebe vom Verkauf ihres Fleisches überleben. „Ich wünsche mir für mein Rotes Harzer Höhenvieh, dass die Verbraucher sein Fleisch auch weiterhin wertschätzen“, resümiert Daniel Wehmeyer. Dem kann Nadja Poppen nur zustimmen: „Nur wenn viele Leute das Fleisch alter Rassen nachfragen, können auch noch weitere Betriebe von der Hochleistungszucht auf die Erhaltungszucht alter Rassen umstellen.“ Und bei den Hühnern geht es sogar noch um mehr als nur um das Fleisch: „Bei den Lachshühnern müssen sich außerdem auch noch Liebhaber für die Eier finden“ ergänzt Sebastian Seelig.

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