Der Reiz des Unbekannten
Wie das Fermentieren wieder in die Küchen gelangt
Leere Felder, volle Vorratskeller: Eine Methode aus Omas Zeiten macht’s möglich und erlebt zurzeit selbst in Sterneküchen ein fulminantes Comeback: das Fermentieren. Auf was man achten sollte und was ein Aquarium mit einem Gurkenglas gemeinsam hat, erklärt Bioland-Küchenchef Karsten Bessai.
Beim Fermentieren sorgen Bakterien dafür, dass Lebensmittel haltbar werden. Wirklich appetitlich klingt das erstmal nicht. Dennoch gehören viele fermentierte Produkte zu unserem Alltag – wie Sauerteigbrot, Käse oder sogar Schokolade. Wie bist du darauf aufmerksam geworden?
Karsten Bessai: Aus der Not heraus. Ich hatte von einer Veranstaltung jede Menge Gemüse übrig und es schon zu Suppen verkocht, geraspelt eingefroren oder in getrockneter Form zu Gemüsesalz verarbeitet. Da aber immer noch Reste übrig waren, suchte ich nach einem neuen Weg und kam zum Fermentieren. Ich habe einfach herumprobiert und geschaut, was passiert.
Diese alte Methode zur Konservierung hat sich selbst unter Spitzenköchen zum Trend entwickelt. Was ist so reizvoll daran?
Bessai: Die Spannung. Man kann zwar bestimmte Rahmenbedingungen schaffen, aber trotzdem bleibt der Ausgang offen. Klar ist nur, es kommt nichts von der Stange, sondern etwas wirklich Einzigartiges heraus. Nebenbei gibt mir die eigene Vorratsbildung ein schönes Gefühl von Sicherheit. Hausgemachtes ist außerdem auch immer nett zum Verschenken – und die fermentierten Produkte sind eine gesunde Alternative zu Marmelade.
Hinter dem Begriff der Fermentation versteckt sich eine echte Vielfalt an unterschiedlichen Methoden. Welche nutzt du am häufigsten?
Bessai: Ich nutze die beiden Methoden, die hier in Deutschland am gängigsten sind. Man kann zum einen Gemüse im eigenen Saft fermentieren – zum Beispiel bei Sauerkraut. Das gibt genug Flüssigkeit ab, wenn man es salzt und stampft. Oder aber man gießt eine Salzlake auf. Ich nehme dazu in der Regel 25 Gramm Salz auf einen Liter Wasser, grüne Gemüse wie zum Beispiel Bohnen vertragen sogar 35 Gramm Salz pro Liter.
Und wie geht man dann am besten vor?
Bessai: Man schneidet das Gemüse zuerst in gleichgroße Stücke und vermischt es mit Gewürzen. Dann gibt man es in ein Glas und gießt das Ganze mit der Salzlake auf. Wichtig ist: Das Gemüse muss immer von der Flüssigkeit bedeckt sein. Jetzt muss man das Glas nur noch bei Kellertemperatur zur Seite stellen und warten bis es blubbert. Es macht wirklich Spaß, den Prozess zu beobachten. Manch einer schaut gern ins Aquarium. Für mich ist es spannender, was während der Fermentation im Gurkenglas passiert.
Und was passiert im Glas?
Bessai: Die natürlichen Milchsäurebakterien, die auf dem Gemüse sind, wandeln den enthaltenen Zucker in Säure um. Es gärt also im Glas und die Säure tötet Bakterien, die das Gemüse verdorben hätten. So werden die Lebensmittel länger haltbar.
Wie lang dauert dieser Prozess in der Regel?
Bessai: Das hängt unter anderem von der Schnittgröße oder dem Zuckergehalt des Gemüses ab. Je mehr Zucker, desto mehr Arbeit für die Bakterien. Man muss schon geduldig sein. Solange es im Glas blubbert, haben die Milchsäurebakterien noch genügend zu tun. Wenn es ruhig im Glas wird, sollte man mal mit der Gabel hineinstechen und die Konsistenz prüfen. Eigentlich bin ich ein Fan von klaren Rezepten, aber beim Fermentieren muss man probieren und spüren. Am besten notiert man die Mengen und Zeiten, um beim nächsten Mal nachjustieren zu können.
Wie lang sind fermentierte Lebensmittel denn in der Regel haltbar?
Bessai: Mit sechs bis zwölf Monaten darf man schon rechnen. Da kann man sich ziemlich gut auf seine Nase verlassen. Prinzipiell sollte man aber die Lebensmittel, die man im Sommer oder Herbst eingelegt hat, am besten im darauffolgenden Winter aufbrauchen. Sie sind einfach nicht für die Ewigkeit gedacht – ganz im Gegensatz zu industriell fermentierten Produkten. Sauerkraut aus der Dose wird zum Beispiel zusätzlich erhitzt. So hält es sich länger, verliert aber auch gute Inhaltsstoffe.
Apropos Inhaltsstoffe: Fermentierten Lebensmitteln werden auch oft gesunde Eigenschaften zugeschrieben. Was ist da dran?
Bessai: Die Bakterien verdauen das Essen gewissermaßen für uns vor, so ist es gut bekömmlich. Generell sind fermentierte Produkte reich an Vitaminen und machen unsere Darmflora aktiver und munterer. Sie sind außerdem für Diabetiker geeignet, laktosefrei und angeblich auch entzündungshemmend. Gerade in den Wintermonaten, in denen frische Vitaminquellen eher Mangelware sind, können sie eine ausgewogene Ernährung absolut bereichern.
Welche Lebensmittel sind besonders geeignet?
Bessai: Alles, was in Richtung Kraut geht, passt super. Aber man kann auch aus Wintergemüse, wie Karotten und Pastinaken, ganz viel herausholen. Die Steckrübe, die normalerweise für mich echt gewöhnungsbedürftig ist, hat mich in fermentierter Form richtig begeistert.
Und was würdest du gern mal ausprobieren?
Bessai: Ich würde gern noch mehr mit Kräutern oder auch Wildkräutern arbeiten und haltbare Pasten oder Salsas daraus machen. Spannend finde ich auch Cranberrys oder orientalisch eingelegte Limetten.
Aufs Glas kommt's an
Die Glas-Wahl ist beim Fermentieren entscheidend. Man braucht wirklich saubere Behälter. Am besten spült man sie vorher mit heißem Wasser durch. Gläser mit Metalldeckel eignen sich leider überhaupt nicht gut, denn die Säure greift das Metall an. Besser sind da Bügelgläser mit Gummiring. Während des Fermentierens sollte man den Deckel übrigens nur lose auf das Glas legen, damit die entstehenden Gase entweichen können. Trotzdem muss man darauf achten, dass die Flüssigkeit im Glas abgedeckt ist – auch damit die Produkte im Glas nicht mehr mit der Luft in Berührung kommen. Dazu kann man zum Beispiel ein Wein- oder Meerrettichblatt direkt auf die Flüssigkeit legen. Der Profikoch nutzt an dieser Stelle auch oft einen Gefrierbeutel. Der wird auf die Flüssigkeit gelegt und erst dann mit Wasser befüllt. Der Beutel bläht sich auf uns verschließt das Glas, lässt aber noch genügend Spielraum für die austretenden Gase. In diesem Fall braucht man nicht mal mehr einen Deckel.
Welche Gewürze kann man generell gut beim Fermentieren einsetzen?
Bessai: Im Grunde geht alles. Nur mit Zucker und Essig sollte man sehr vorsichtig sein. Man kann ansonsten genauso würzen, wie man es auch beim Kochen tun würde. Eine gewisse Schärfe passt auch optimal – und da müssen es nicht immer die eingeflogenen Chilis sein. Es geht auch regional: zum Beispiel mit Meerrettich.
Stimmt es, dass Bio-Produkte besser zum Fermentieren geeignet sind, da durch den schonenden und kontrollierten Anbau mehr natürliche Milchsäurebakterien erhalten bleiben?
Bessai: Das kann ich mir gut vorstellen, bewerten kann ich das allerdings nicht. Was mir als Koch aber auffällt ist, dass da in Sachen Geschmack und Inhaltsstoffen einfach mehr drin ist. Bio bedeutet für mich auch Sortenvielfalt – gerade beim Herbstgemüse. Und das bringt auch mehr Vielfalt ins Glas.
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