Kinder lassen sich leicht verführen, vor allem, wenn Süßes, Salziges oder Fettes auch noch attraktiv verpackt ist

Wenn Kinder Kunden sind

Die Tricks der Lebensmittelindustrie

29.12.2018

Kinder sollten gesund essen. Doch selbst ernährungsbewusste Eltern haben es nicht immer einfach. Ein mächtiger Gegenspieler ist die Lebensmittelindustrie. Deren Marketingexperten wissen genau, wie man Kinder verführt. Was tut die Politik dagegen?

Von Julia Schreiner

Bettina Schneider weiß, wie es abläuft, wenn sie ihre beiden Kinder, 7 und 8 Jahre alt, mit zum Einkaufen nimmt: "Sie werfen jeden Mist in den Wagen, bei dem man dann erst mal Nein sagen muss. Vor allem springen sie auf Produkte an, auf denen ihre Helden, Figuren, die sie kennen, oder Gesichter abgebildet sind."
Und davon gibt es  jede Menge. Sie sind kunterbunt, liegen in den Supermarktregalen auf der richtigen Höhe und locken mit ihrer Verpackung. Foodwatch hat vor einigen Jahren 1500 solcher Kinderlebensmittel untersucht. Das Ergebnis: Drei Viertel der untersuchten Produkte stufte Foodwatch als zu süß oder zu fettig ein. Gäbe es eine Lebensmittelampel, sie alle würden in der Kategorie rot landen. Rot - das heißt hochgradig ungesund. Zu ähnlichen Ergebnissen kam auch die Verbraucherzentrale Bremen im Jahr 2011 bei einem kleineren Marktcheck (pdf, Seite 13): Danach waren 41 Prozent der untersuchten Lebensmittel überzuckert.

Das wäre an sich noch nicht so schlimm. Wäre da nicht das aggressive Marketing vieler Lebensmittelhersteller. Knallbunt kommen viele Kinderlebensmittel daher. Die Verpackungen locken mit netten Tierchen drauf. Mit gerade angesagten Comicfiguren. Oder mit Einhörnern, was vor allem Mädchen mögen. Mit Gratis-Spielzeugbeigaben. Oder mit Verweisen auf Onlinespiele. Worauf Kinder eben abfahren.

Süß und bunt

Ob bestimmte Cornflakes, Süßigkeiten oder Knabberzeug - viele Lebensmittel sollen besonders Kinder ansprechen (Foto: Pixabay)

Was sind überhaupt Kinderlebensmittel?


Kinderlebensmittel sind gesetzlich nicht definiert. Sie gelten rechtlich als ganz normale Lebensmittel, für die keine besonderen Regeln gelten. An ihrer Aufmachung ist jedoch meist klar erkennbar, dass sie vor allem Kinder ansprechen sollen. Auf manchen Verpackungen steht "für Kinder" oder "Kids", es sind Comicfiguren abgebildet, oder es gibt zum Produkt Spielzeug oder Aufkleber dazu. Eine Ausnahme sind deklarierte Lebensmittel für Säuglinge und Kleinkinder bis drei Jahre. Solche Produkte müssen strengere Pestizidgrenzwerte einhalten, und dürfen kaum Zusatzstoffe enthalten. Die Verbraucherzentralen halten Spezialprodukte für Kleinkinder aber generell für unnötig. Kinder sollten nicht an Fertigprodukte gewöhnt werden.


So wie der kleine Sohn von Tobias Effertz, der beim Einkaufen magisch von bestimmten Cornflakes angezogen wird, die mit Star-Wars-Figuren für sich werben. Die kennt der Siebenjährige aus der Schule, fernsehen darf er zu Hause nicht. Die Werbung zieht trotzdem. Effertz ist Experte für Kindermarketing an der Uni Hamburg. Es klingt hart, was Effertz da sagt: "Die Lebensmittelindustrie verdient ihr Geld damit, dass sich Kinder falsch ernähren und krank werden."
Tatsächlich futtern die Sechs- bis Elfjährigen heutzutage doppelt so viel Süßkram und trinken doppelt so viele zuckrige Getränke wie von Ernährungsexperten empfohlen, hat die Studie Eskimo vom Robert-Koch-Institut und der Universität Paderborn ergeben. Eine der Folgen ist nur zu offensichtlich: Immer mehr Kinder sind viel zu dick.

Kinder haben ein großes Budget

Aufgekommen ist das sogenannte Kinder-Marketing zuerst in den USA, so Effertz. In den sechziger Jahren fingen die Lebensmittelhersteller an, Kinder - an den Eltern vorbei - direkt anzusprechen. "So kann man ihr Taschengeld besser abgreifen." Laut einer forsa-Umfrage bekommen Grundschüler im Schnitt 16 Euro Taschengeld im Monat. Das meiste geben sie für Süßigkeiten aus. Es geht darum, schon die Kleinsten an bestimmte Marken zu binden. "Die bleiben dann dabei und werden lebenslange Kunden", so Effertz. Ein Milliardengeschäft. Schließlich verfügen die Sechs- bis 13-Jährigen pro Jahr über ein Budget von rund 2,6 Milliarden Euro.
Die Verpackungen sind dem Marketingexperten dabei nicht einmal der größte Dorn im Auge. Sorgen bereitet ihm vor allem die Werbung über die Massenmedien. Zu den rund 15.000 Werbespots im Fernsehen, die ein Kind pro Jahr im Schnitt anschaut, kommen heute noch bis zu 7800 Marketingaktionen im Internet dazu, hat Effertz ausgerechnet.

Besser bio?

Im Biohandel gibt es - genauso wie im konventionellen Bereich - Produkte, die Kinder nur in Maßen essen sollten. Sie sind aber in der Regel weniger auffällig verpackt (Foto: Pixabay)

So schneidet die Branche ab


Bio-Produkte für Kinder schnitten im foodwatch-Marktcheck etwas besser ab als konventionelle. Jedes dritte Produkt - und damit dreimal so viele – bekamen grünes Licht. Allerdings landeten knapp 58 Prozent der Bio-Lebensmittel für Kinder (gegenüber 73 Prozent der konventionellen) auch in der Kategorie rot. Für die Einteilung in rot, gelb und grün orientierte sich Foodwatch an der Ernährungspyramide des Bundesverbraucherministeriums. Auch Biohersteller versuchen Kinder gezielt anzusprechen, etwa mit attraktiven Figuren auf der Verpackung. Alnatura zum Beispiel schaltet aber grundsätzlich keine Werbung. "Wichtig ist uns, dass die Verpackungsgestaltung eine möglichst natürliche Anmutung hat. Bei den Snackartikeln sind dies beispielsweise zurückhaltende Buntstiftzeichnungen ohne grelle Farben", so eine Alnatura-Sprecherin.
 


Dabei hatten sich weltweit führende Lebensmittelhersteller eigentlich schon vor elf Jahren freiwillig dazu verpflichtet, ungesunde Lebensmittel nicht mehr bei Kindern zu bewerben.
Viel gebracht habe das aber nicht, kritisiert Foodwatch. Es wird weiter eifrig für Junkfood geworben. Denn bei der Entscheidung, was ungesund ist, legen die Lebensmittelhersteller laschere Kriterien an als die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Frühstücksflocken zum Beispiel dürften nach WHO-Vorgaben nicht mehr als 15 Gramm Zucker auf 100 Gramm enthalten, die Lebensmittelhersteller halten hingegen 30 Gramm auch noch für ganz in Ordnung.
Marketingexperte und Familienvater Effertz will, dass die Politik die Kinder endlich vor Lebensmittelwerbung schützt. Denn sie können sich der Werbung noch viel schlechter entziehen als Erwachsene. "Den Kindern fehlt die kritische Distanz."

Ärzte appellieren an Bundesregierung

Wie das gehen soll? Mit einem Verbot von Werbung, die sich an Kinder richtet. Und mit höheren Steuern. Effertz schlägt eine neue Mehrwertsteuerstufe vor: Produkte mit zu viel Zucker, Fett und Salz sollen mit 29 Prozent besteuert werden. Im Gegenzug soll die allgemeine Mehrwertsteuer runter. Er weiß, dass so etwas in Deutschland schwer umsetzbar ist. Bislang konnte sich die Politik nicht einmal zu einer Lebensmittelampel für Zucker, Salz und Fett auf den Verpackungen durchringen. Dass doch noch eine Ampel kommt, ist derzeit auch eher unwahrscheinlich.

Alleine steht Effertz mit seinen Forderungen nicht da. Dass sich etwas ändern muss - das sehen viele so. Auch die Verbraucherzentralen etwa fordern klare Regeln für Kinderwerbung. Nur noch Lebensmittel, die nach WHO-Kriterien als gesund gelten, sollten beworben werden dürfen, fordert auch Foodwatch.
Und unlängst haben mehr als 2000 Ärzte - zusammen mit foodwatch und einigen Krankenkassen - einen Offenen Brief an die Bundesregierung unterschrieben. Dass immer mehr Kinder stark übergewichtig sind, bereitet den Ärzten Sorgen. Auch sie setzen sich für ein Werbeverbot für ungesunde Kinderlebensmittel ein.
Was die Ärzte noch fordern: Steuersenkungen für ausgewogene Lebensmittel und Sonderabgaben auf gesüßte Getränke. "Laut der WHO zeige die wissenschaftliche Evidenz, dass eine 20-prozentige Abgabe den Konsum der Produkte um etwa 20 Prozent reduziere, was der Entstehung von Adipositas und Diabetes vorbeuge", heißt es in dem Offenen Brief. "Der Einfluss der Lebensmittellobby auf die Politik ist in allerdings Deutschland sehr groß", so Luise Molling von Foodwatch.

Ernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) scheint die Sorgen der Ärzte nicht zu teilen. Sie lehnt eine Zuckersteuer ab - ebenso wie eine Lebensmittelampel. Durch eine Steuer würden nicht alle gesund, und eine Lebensmittelampel mache einzelne Rohstoffe zum Sündenbock für Fehlernährung. Man müsse die Gesamtkalorienzahl in den Blick nehmen.
Zweifachmama Bettina Scheider möchte, dass per Gesetz festgelegt wird, wie viel Zucker in Kinderprodukten enthalten sein darf. Und hat noch einen Tipp an die Lebensmittelunternehmen: "Ich würde mir wünschen, dass Produkte, die wirklich gut für Kinder sind, auch für Kinder gestaltet werden. Dass der Naturjoghurt, den die Kinder auch mögen, so bunt aussieht wie die Fruchtzwerge daneben. Dann würden sie vielleicht auch mal dazu greifen.

Mehr zum Thema Ernährung

Interview mit Ernährungspsychologin Katja Kröller

Junge Eltern sind oft ratlos, wenn ihr Kind kein Gemüse oder Obst essen will. Schließlich will man den Nachwuchs ja ausgewogen ernähren. Ernährungspsychologin

Weiterlesen
Iss was du willst! Oder?

Unser Hunger nach Infos rund ums Essen scheint unstillbar. Doch im Dschungel der vielfältigen Ansätze und Studien verliert man schnell den Überblick. Was ist denn

Weiterlesen
Convenience-Food macht dick

Wir haben es schon immer vermutet, jetzt ist es bewiesen: Ready-to-eat- und Ready-to-heat-Produkte verführen zum Überessen – mit dramatischen Folgen.

Weiterlesen