Auch wenn der Krieg den Agrarhandel mit der Ukraine beeinträchtigt: Ökologie und Nachhaltigkeit sind unverzichtbar für eine krisenfeste Landwirtschaft. (Foto: Landpixel)

Mehr Ökologie gegen die Krise

Mehr als 600 Wissenschaftler einig: Der Ukraine-Krieg zwingt dazu, an der Farm-to-Fork-Strategie festzuhalten. Drei mächtige Hebel gibt es.

Weniger Tiere zu füttern, weniger Lebensmittel zu verschwenden und mehr Leguminosen anzubauen, das sind die drei Schlüsselmaßnahmen für ein resilientes Nahrungsmittelsystem. Das betonen führende Wissenschaftler:innen aus vielen Ländern in einem offenen Brief. Darunter Agrar- und Klima-Experten aus Deutschland. Die Expert:innen appellieren in der derzeit hitzig geführten Debatte, an der Farm-to-Fork-Strategie festzuhalten.

Die Wissenschaftler:innen sind alarmiert, weil infolge des Kriegs in der Ukraine ein Rückfall in die alte Agrarpolitik droht. „Die weltweite Ernährungsunsicherheit wird nicht durch eine Einschränkung des Nahrungsmittelangebots verursacht. Sie wird durch ungleiche Verteilung verursacht. Es gibt mehr als genug Nahrungsmittel, um die Welt zu ernähren, auch jetzt bei diesem Krieg. Allerdings wird das Getreide an Tiere verfüttert, als Biokraftstoff verwendet oder einfach verschwendet, anstatt hungrige Menschen zu ernähren", so Sabine Gabrysch, Forscherin am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), eine der Mitautorinnen des Appells. „Jetzt Umweltvorschriften aufzuweichen, um die Lebensmittelproduktion zu steigern, würde die Krise nicht lösen. Es würde uns vielmehr noch weiter von einem robusten Ernährungssystem entfernen, das gegen künftige Schocks gewappnet ist und eine gesunde und nachhaltige Ernährung ermöglicht.”

Der federführende Autor, Dr. Lukas Fesenfeld von der ETH Zürich und der Universität Bern, fasst zusammen: „Die kurzfristige Freigabe von Brachflächen ist keine ausreichende Lösung: um sowohl den unmittelbaren Folgen des Ukraine Kriegs als auch den großen Herausforderungen unserer Zeit – Klimawandel, Artensterben, Pandemien und Friedenssicherung – wirksam entgegenzutreten, spielt die rasche Reduktion des Fleischkonsums, der Lebensmittelabfälle sowie des Anbaus von Energiepflanzen für die Bioethanol-Herstellung eine besonders wichtige Rolle. Von zentraler Bedeutung für eine umfassende Transformation des Ernährungssystems ist, dass nun rasch produktions- und konsumseitige Maßnahmen strategisch ineinandergreifen.“

Mitautor Dr. Dominic Lemken von der Universität Göttingen merkt an: „Es geht darum, politischen Akteuren Optionen aufzuzeigen, die nicht langfristige Umweltressourcen und Produktionskapazitäten gefährden, sondern kurz- und langfristige Perspektiven für die Sicherung unserer Ernährung schaffen.“

Weniger Fleisch und Bio-Kraftstoffe
In ihrem offenen Brief schlagen die Autorinnen und Autoren konkrete Maßnahmen vor, zum Beispiel eine geringere Mehrwertsteuer auf pflanzliche Produkte sowie eine erhöhte Mehrwertsteuer für Fleischprodukte. Darüber hinaus könnten Vorgaben zur Flächenbindung und Umbauprämien für Landwirtinnen und Landwirte, Bildungsprogramme zur Ernährungsumstellung und ein Fond zur Förderung einer nachhaltigen Ernährung in der Außer-Haus-Verpflegung die Entwicklung fördern.

Sie fordern zudem eine rasche Anpassung der Beimischungsquote, um die Nutzung von Bioethanol aus Energiepflanzen zu reduzieren. Auch auf EU-Ebene müsse sich die Bunderegierung deutlich für eine Transformation des globalen Ernährungssystems einsetzen, so die Forderung. Jeder Mensch könne zudem als Individuum selbst Schritte zu weniger Fleischkonsum einleiten, um die globale Versorgung mit Lebensmitteln zu verbessern und der Klimakrise entgegenzuwirken.

Die drei zentralen Hebel, um die kurzfristigen Schocks zu bewältigen und gleichzeitig die menschliche Gesundheit und eine langfristige nachhaltige Entwicklung zu gewährleisten:

  • Beschleunigung der Umstellung auf eine gesündere Ernährung mit weniger tierischen Erzeugnissen in Europa und anderen Ländern mit hohem Einkommen, wodurch sich die für Tierfutter benötigte Getreidemenge verringern würde;
  • Steigerung der Produktion von Hülsenfrüchten und weitere Ökologisierung der EU-Agrarpolitik, auch um die Abhängigkeit von russischem Stickstoffdünger und Erdgas zu verringern;
  • Verringerung der Lebensmittelverschwendung, da beispielsweise die Menge an vergeudetem Weizen allein in der EU etwa der Hälfte der Weizenexporte der Ukraine entspricht.

Weitere kurzfristige Maßnahmen der europäischen Regierungen sollten die Bereitstellung von Mitteln für das Welternährungsprogramm zum Kauf von Getreide umfassen und die Aufrechterhaltung des Handels einschließlich des Handels mit Lebensmitteln von und nach Russland, heißt es in der Erklärung. Die sozialen Sicherungssysteme sollten in der gesamten EU gestärkt werden, um negative Auswirkungen der steigenden Lebensmittelpreise für arme Haushalte zu vermeiden.

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