TikTok, Traktoren und Transpiration: Eine soziologische Skizze der Jugend auf den Öko-Feldtagen 2025
Die Jugend hat keine Zukunft – zumindest nicht ohne WLAN. Doch dann kamen die Öko-Feldtage 2025 und brachten erstaunliche Nebenwirkungen: Gespräche in ganzen Sätzen, Interesse an Zwischenfrüchten und sogar analoge Gruppenspiele.

Zwischen Strohballen und Flipchart: Junge Menschen diskutieren auf den Öko-Feldtagen 2025 über Zukunftsthemen
Die Ausgangslage ist alarmierend: Junge Menschen hängen nur noch am Smartphone, deuten Emojis besser als echte Gesichtsausdrücke und formulieren kaum mehr als halbfertige Sätze ohne Punkt, Komma oder Kontext. Kommunikation erfolgt bevorzugt über Reaktionssticker, und wenn gesprochen wird, dann über die neueste Traktoraufnahme auf TikTok – oder das Nicht-Funktionieren des WLANs.
Und doch: Die Öko-Feldtage 2025 auf dem Wassergut Canitz in Sachsen zeigten – zur Überraschung aller Beteiligten –, dass nicht alles verloren ist. Es wurde tatsächlich gesprochen. Mit echten Stimmen, in vollständigen Sätzen! Diskussionen über generationenübergreifende Zusammenarbeit, Zugang zu Land und das Image der Landwirtschaft in der Gesellschaft fanden statt. Ohne Filter, ohne Voiceover, ohne Livestream. Einzige Irritation: die penetrant fotografierenden Organisator*innen, die nerviger wirkten als die eigene, ungewohnte Smartphone-Abstinenz.
Die größte Versuchung: Influencer auf freier Fläche
Was vielversprechend mit analogen Gesprächen auf der FiBL-Netzwerkfläche begann – Jung und Alt philosophierten über die gemeinsame ökologische Zukunft –, geriet kurzzeitig in Gefahr: Der Junges Bioland e.V. und das Projektteam „Grenzenlos Regional“ boten Social Media-Workshops an. Ja, richtig gelesen – Workshops. Mit echten Influencern.
Die @agrarbrueder Finn & Micha (Spoiler: keine echten Brüder) und der @brotprofi Ricardo Fischer gewährten Einblicke in ihre Welt. Ein möglicher Moment des wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns – etwa durch eine Erklärung algorithmischer Manipulationsdynamiken – konnte zwar nicht geleistet werden. Stattdessen: Aufruf zum selbst Ausprobieren mit kritischer Reflexion über die eigenen Inhalte und deren Wirkung.
Ihr Beweggrund? Ein schlechteres Image als die Landwirtschaft hat aktuell höchstens noch die Deutsche Bahn. Also beschlossen die Agrarfluencer auf der Rückfahrt von der Wir-haben-es-satt!-Demo in Berlin: Selber was tun. Und so entstanden Inhalte, in denen Bodenbearbeitung mit neuartiger Landlust-Ästhetik oder sieben kreative Wege einen Stromzaun zu überwinden, inszeniert wurden. Gefährlich? Durchaus. Bei 30 Grad auf staubigen Sortenparzellen hätte man meinen können, dass jeder jugendliche Mensch nun endgültig ins Doomscrolling abdriftet. Aber: Weit gefehlt.
Das Junge Bioland schlägt zurück – mit Fahrrädern
Gegen die Rückfallgefahr in die digitale Dauerberieselung hatte das Junge Bioland ein Gegenmittel: upgecycelte Öko-Feldtage-Fahrräder. Fahrradflüsterer Christian Gadenne formulierte es fast poetisch: „Wenn man zwei Hände am Lenker hat, hat das Handy keinen Platz.“
Die Kombination aus Rücktrittbremse und Dynamo wirkte offenbar therapeutisch. Die Fahrräder, mit liebevoll gepunkteter Junges-Bioland-Bestickerung, wurden schlussendlich von drei jungen Männern adoptiert, die zu Protokoll gaben, noch nie ein so „süßes Fahrrad“ außerhalb des Internets gesehen zu haben.
Analoges Spielen gegen digitale Erschöpfung
Der Gipfel der digitalen Entwöhnung: das offene Junges-Bioland-Treffen unter dem Sonnensegel am Bioland-Stand. Rund 20 Junge Bioländer*innen griffen zu Papierschnipseln (!), um eine gestellte Gruppenaufgabe zu lösen. Das Papier fühlte sich offenbar fremd an – aber erfüllte seinen Zweck. Die Belohnung? Rhabarberkuchen. Zucker für das analoge Belohnungszentrum. Ganz ohne Push-Benachrichtigung. Und während die Gruppe noch kaute, wurde auch gewürdigt: Die Landesgruppe Ost im Jungen Bioland feierte ihr einjähriges Bestehen – eine bemerkenswerte Leistung angesichts der Tatsache, dass Social-Media-Vernetzung dort aus rein geografischen Gründen das Mittel der Wahl darstellen muss.
Wer glaubt, dass junge Menschen nur netzwerken, wenn ein WLAN-Passwort im Spiel ist, wurde auch hier eines Besseren belehrt. Am Stand des Bündnisses Junge ökologische Land- und Lebensmittelwirtschaft (Bündnis JöLL) tauschte man sich in lockerer Atmosphäre über die Reichweite der Biobranche aus. Krönender Moment der non-digitalen Vernetzung: die feierliche Gründung des Jungen Demeters – mit einem Rote-Bete-Ingwer-Startshot. Ein Getränk, das geschmacklich irgendwo zwischen Mutprobe und Mikronährstoffexplosion rangiert, aber offenbar genau das Richtige ist, um eine biodynamische Bewegung zu initiieren.
So viel ist sicher: Wenn Jugend sich so vernetzt, braucht sie keine App – nur ein paar Heuballen, ehrliche Gespräche und eine Abkühlung aus der Flasche.
Fazit: Hoffnung zwischen Feldrändern und Fahrrädern
Die Öko-Feldtage 2025 haben gezeigt: Die Jugend ist nicht verloren. Sie ist neugierig, diskussionsfreudig, vernetzt sich jenseits von WLAN und zeigt beeindruckendes Engagement – sei es auf dem Podium, beim Basteln mit Fahrrädern oder im analogen Spiel.
Wer einmal gesehen hat, wie junge Menschen bei 30 Grad engagiert über landwirtschaftliche Zukunft, Humusaufbau und Verbandsarbeit sprechen – und danach noch Rhabarberkuchen teilen – der weiß: Das Junge Programm auf den Öko-Feldtagen 2025 hat was hergemacht! Und vielleicht, ganz vielleicht, ist der echte Acker der bessere Bildschirm.
Text: Judith Blättler
