Winterweizen nährt Gemüse-Schädling
Im Süden infizieren Zikaden Zuckerrüben, Kartoffeln und einige Gemüsearten mit bakteriellen Erregern. Die Insekten überwintern im Boden.

Rote Bete und Möhren werden neuerdings ebenfalls von Schilf-Glasflügelzikaden mit Bakterien infiziert. Regionen mit Zuckerrüben- und Kartoffelanbau leiden besonders. (Foto: Sonja Herpich)
Kartoffelerzeuger und Zuckerrübenanbauer in Bayern und der Pfalz ärgern sich schon länger über „Gummi-Rüben“ und „Gummi-Knollen“. Nun treten Symptome auch in Rote Bete und Möhren auf. Auslöser sind zwei Erreger, die von der Schilf-Glasflügelzikade übertragen werden: Der bakterielle Erreger Candidatus Arsenophonus phytopathogenicus lässt bei Zuckerrüben den Zuckergehalt einbrechen (als SBR bekannt), und das Phytoplasma Stolbur (Candidatus phytoplasma solani) lässt die Wurzeln der Pflanzen absterben. Phytoplasma Stolbur hat einen weiten Wirtspflanzenkreis in Nachtschattengewächsen, Doldenblütlern und Gänsefußgewächsen. Bisher galt die Winden-Glasflügelzikade als Hauptüberträger des Stolbur-Phytoplasmas. Das hat sich durch den Populationsaufbau und die räumliche Ausdehnung der Schilf-Glasflügelzikade in den vergangenen Jahren geändert.
Eindämmung mit der Fruchtfolge
Forschungsprojekte aus dem Zuckerrübenanbau fokussieren vor allem die Schilf-Glasflügelzikade und deren Lebenszyklus. Sie fliegt von Mai bis September, legt ihre Eier nahe der Rüben, Kartoffeln und Rote Bete ab. Die Nymphen überwintern im Boden, das Insekt fliegt dann in nahegelegene Bestände ein. Candidatus Arsenophonus phytopathogenicus kann von den Muttertieren auf die Nachkommen übertragen werden, während sich die Tiere mit dem Stolbur-Phytoplasma erst an befallenen Pflanzen aufladen müssen und dann ihr gesamtes Leben infektiös bleiben.
Hier liegt die bislang wirksamste Möglichkeit, Schäden in Kartoffeln und Rüben zu reduzieren. Die Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft hat beobachtet, dass aus Wintergetreidebeständen im Frühjahr besonders viele Zikaden ausfliegen. Die Nymphen ernähren sich an den jungen Getreidewurzeln. Aus Sommergetreide fliegen kaum weniger Zikaden aus, ebenso aus Soja. Wesentlich weniger Insekten wurden beobachtet, wenn Mais als nächstes Fruchtfolgeglied kam. Entscheidend ist die Dauer der Nichtbegrünung: je länger desto besser. Daher fliegen vor allem bei späten Sommerungen wie Mais und Soja weniger adulte Zikaden aus als bei frühen Sommergetreiden, wenngleich es auch hier zu einer Reduktion im Vergleich zu Wintergetreide kommt.
Die Winden-Glasflügelzikade überwintert auch an Ackerwinde. Der entscheidende Unterschied ist, dass sich die Schilf-Glasflügelzikade an Ackerfruchtfolgen (Sommerungen wie Zuckerrüben und Kartoffeln mit anschließendem Wintergetreide) angepasst hat. In Regionen mit hoher Populationsdichte können auf einem Hektar Kulturfläche teilweise mehrere Hunderttausend Tiere pro ha ausfliegen. Hingegen beschränkt sich das Vorkommen der Winden-Glasflügelzikade vor allem auf Randbereiche der Flächen, so bauen sich keine hohen Populationsdichten auf.
Seit zwei Jahren ist bekannt, dass die Schilf-Glasflügelzikade ihren Zyklus an der Kartoffel vollenden kann. Es können also neue Larven, sogenannte Nymphen, sich direkt an der Kartoffel zu neuen Zikaden entwickeln, es ist kein Zwischenwirt erforderlich, beschreibt Bioland-Kartoffelberater Christian Landzettel im Kartoffel-Infoblitz, den Bioland-Mitglieder abonnieren können.
Die Krankheitserreger breiten sich seit 2007 von Süden kommend in Deutschland aus, bevorzugt in Regionen mit starkem Zuckerrüben- oder auch Kartoffelanbau. Das sind bislang Bayern, die Rheinebene wie auch ostdeutsche Anbaugebiete. Konventionelle Kartoffelerzeuger berichten von Ausfällen bis 50 Prozent. Das Monitoring hat bislang seinen Schwerpunkt in Süddeutschland. Der Zuckerrübenverarbeiter Pfeifer und Langen hat in diesem Jahr ein Monitoring in Nordrhein-Westfalen gestartet.
Christian Landzettel erklärt Kartoffelerzeugern im Infoblitz: „Der Anbau früherer Sorten ist definitiv sicherer. Dies kann natürlich nur eine kurz- bis mittelfristige Lösung für Gebiete mit auffälligen Problemen sein.“ Bundesweit müssten ausreichende Mengen Lagerkartoffeln angebaut werden. „Weil Kartoffeln und Zuckerrüben, aber auch Rote Bete stark befallene Wirtspflanzen sein können, muss der Anbau zweier dieser Kulturen direkt nacheinander in allen auch nur annähernd betroffenen Gebieten unterbleiben!“, appelliert Landzettel. Sobald es in einer Region befallene Stauden gibt, verbiete sich der Anbau von Rüben nach Kartoffeln oder Kartoffeln nach Zuckerrüben/Rannen.
Großflächige Versuche mit Fruchtfolge
Seit diesem Jahr laufen die ersten intensiven Versuche in Modellregionen, berichtet agrarheute. Pfeifer und Langen richtete eine Modellregion mit 1.500 ha in Sachsen-Anhalt im Hauptbefallsgebiet Magdeburg ein. Südzucker hat in Bayern und Baden-Württemberg mehrere Modellregionen mit jeweils 100 ha Fläche angelegt. Dort verzichte man unter anderem auf Weizen als Folgekultur, teste Insektizide und Vergrämungsmittel. Ergebnisse liegen nach agrarheute-Recherchen noch nicht vor. Außerdem gründeten die Rübenverarbeiter gemeinsam mit dem Julius-Kühn-Institut, Universitäten und dem Institut für Zuckerrübenforschung (IfZ) eine Taskforce, um Strategien gegen das Insekt und die neuen Krankheiten zu entwickeln.
Gespräche gibt es auch mit Züchtern und der Politik, meldet agrarheute. "Der wichtigste Baustein zur Eindämmung ist die Fruchtfolge", sagt Bioland-Gemüsebauberater Johannes Ritz. Er steht Bioland-Betrieben gerne als Ansprechpartner zur Verfügung.