Rettung für Rehkitze

Rehkitze lieben Bioland-Wiesen. Vor der Mahd arbeiten Landwirt*innen, Jäger*innen und Drohnenpilot*innen Hand in Hand, um sie zu retten.

Wenn die ersten wärmeren Tage des Frühjahrs die Natur zum explodieren bringen, klingelt der Wecker von Jessica Meierfrankenfeld oft schon um halb drei Uhr morgens. Die Bioland Landwirtin aus Melle ist es zwar gewohnt, früh aufzustehen – doch in dieser Zeit muss sie den Nächten noch ein paar Stunden mehr abknapsen. Denn bevor die Mahd auf den Wiesen beginnen kann, hat Meierfrankenfeld noch einen anderen Job zu erledigen: mit der Drohne über das Feld fliegen und Rehkitze suchen. „Das frühe Aufstehen ist zwar hart“, gibt sie zu, „aber wir retten damit ja Leben!“

Rehe legen ihre Kitze gerne im hohen Gras ab. Kurz nach der Geburt aber entfernen sie sich, um möglichst wenig Aufmerksamkeit auf das Neugeborene zu ziehen. Lediglich zum Säugen kehrt sie zum Kitz zurück. Das wiederum weiß genau, was es zu tun hat: absolut gar nichts. So regungslos wie möglich duckt das winzige Jungtier sich ins Gras und harrt aus, bis die Mutter zurückkehrt. Einen Fluchtreflex hat es in dieser Zeit noch nicht entwickelt. Erst nach etwa einer Woche ist das Kitz bereit, seine Mutter zu begleiten. Dieses Verhalten macht das Jungtier fast unsichtbar für seine Fressfeinde – und leider auch für Landwirte und Landwirtinnen, die auf riesigen Maschinen ihre Wiesen abmähen. Jahr für Jahr werden es mehr Rehkitze, die vom Mähwerk erfasst werden, weil ausgerechnet ihr natürliches Schutzverhalten sie schutzlos macht. „Wir merken hier auch ganz deutlich eine Verschiebung des Klimas“, beklagt Bioland Berater Christian Odinga. „Die Schnittzeitpunkte sind in den vergangenen Jahrzehnten um etwa 3 Wochen nach vorne gerückt, während die Geburtszeitpunkte beim Rehwild aber nur wenige Tage früher liegen. Dadurch überschneiden sich nun oft der Schnittzeitpunkt und die Hauptgeburtszeit.“ Besonders im Biolandbau spielt die Kitzrettung eine wesentliche Rolle: „Die artenreichen Wiesen mit Kräutern und Klee sind deutlich beliebter beim Wild als konventionelle Nachbarflächen“, weiß Odinga. Außerdem verpflichten sich Bioland-Betriebe, verstärkt Maßnahmen für den Artenschutz und zum Erhalt der Biodiversität auf ihren Feldern und Äckern zu treffen. Die Kitzrettung gehört damit fest zum Programm.

Bei einem Drohnen-Einsatz zur Wildtierrettung gibt es klar verteilte Rollen. Der Landwirt oder die Landwirtin muss „alle zumutbaren und möglichen Vorsorgemaßnahmen zur Vermeidung von Mähtoden treffen.“ Die Jägerschaft vor Ort ist verpflichtet, dabei mitzuwirken. Die tatsächliche Arbeit aber übernehmen freiwillige Drohnenpilot*innen. Meierfrankenfeld ist demnach nicht die einzige, die früh aufstehen muss. Morgens um drei Uhr trifft sie sich mit dem Landwirt oder der Landwirtin, Vertreter*innen der Jägerschaft und weiteren Freiwilligen am Feldrand zur Lagebesprechung. Dann schickt sie die Drohne in die Luft, deren Wärmebildkamera die Kitze auch in der Dunkelheit finden kann. Hat sie eins geortet, dirigiert sie mit dem Walkie Talkie die freiwilligen Helfer*innen zu dem Tier. Ist es nah am Rand, tragen sie es aus dem Feld uns setzen es außerhalb der Reichweite des Mähers ab. Ist es jedoch sehr tief im Feld oder verläuft dicht am Feld eine Straße, decken sie das Kitz mit einem durchlöcherten Kartoffelkorb ab und markieren die Stelle mit Flatterband.

Seit Jessica Meierfrankenfeld vor zwei Jahren ihren Jagdschein gemacht hat, ist sie alles in einer Person: Landwirtin, Jägerin und Drohnenpilotin. Die Drohne, mit der sie arbeitet, stellt ihr die Jägerschaft von Melle zur Verfügung. Rund 7.000 bis 8.000 Euro kostet so ein Gerät, das für die Kitzrettung ausgestattet ist. Üblich ist, dass der Landwirt sich bei der Jägerschaft und dem Drohnenpiloten oder der Drohnenpilotin mit einer Spende erkenntlich zeigt. Die meisten Landwirte und Landwirtinnen, sind sehr froh, Hilfe bei der Kitzsuche zu haben. Man kennt sich und hat gemeinsam schon vielen Kitzen das Leben gerettet. Doch nicht immer ist die Zusammenarbeit reibungslos: „Bei uns läuft es gut, aber an vielen anderen Orten muss das Verständnis für die jeweiligen Belange der Beteiligten noch wachsen“, beklagt Meierfrankenfeld. Dem stimmt Odinga zu, der als Bioland Berater und Jäger ebenfalls beide Seiten kennt. „Der erste Schritt ist immer eine offene Kommunikation mit den Jagdpächtern, denn die kennen ihre Rehkitz-„Hotspots“ und können so ganz gezielt bei der Koordination von Maßnahmen helfen“, erklärt er. „Aber manchmal wird leider der Ton etwas rauher, vor allem wenn alle Landwirte und Landwirtinnen gleichzeitig ihre Wiesen mähen wollen.“ Dann sind die Drohnenpilot*innen plötzlich sehr gefragt. „Aber es gibt einfach zu wenige, die den Pilotenschein für diese Drohnen haben. Die wenigen, die es gibt, bekommen in diesen Tagen sehr, sehr wenig Schlaf.“

Doch es gibt auch Alternativen. Mittlerweile bieten diverse Hersteller eine Kitzerkennung für die Mähwerke an. Diese Technik kostet zwar im ersten Moment deutlich mehr als eine Spende an Jägerschaft und Drohnenpilot*in, hat aber auch ganz klare Vorteile: Das Mähen kann zum Beliebigen Zeitpunkt stattfinden, ist unabhängig von Helfern und der stressigen Organisation. „Noch scheuen viele Landwirte und Landwirtinnen diese Ausgabe – aber das wird sich irgendwann mehr und mehr durchsetzen“, ist Odinga sich sicher.

Bis dahin aber wird Jessica Meierfrankenfeld noch viele kurze Nächte haben. „Es muss ja gemacht werden“, winkt sie lachend ab. „Und außerdem ist es auch einfach immer wieder auf’s Neue ein gutes Gefühl, diese kleinen Leben zu retten.“

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