Viele Wege führen ins Bioland

Bioland - der größte ökologische Anbauverband in Deutschland – wird 50 Jahre alt. Was bewegte damals - und was bewegt heute - Menschen dazu, Mitglied zu werden? Drei Generationen von niedersächsischen Landwirten erzählen, wie sie ins Bioland gefunden haben – und welchen Rat sie ihren Kindern mit auf den Weg geben würden.

1985 war ein ereignisreiches Jahr. Nach den turbulenten Zeiten des Kalten Krieges erklären der sowjetische Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow und US-Präsident Ronald Reagan gemeinsam, „die Welt sei nun sicherer“ geworden. Mit gerade einmal 17 Jahren siegt Boris Becker als jüngster Tennisspieler aller Zeiten und erster Deutscher überhaupt beim Grand-Slam-Turnier von Wimbledon. Und Ehler und Ulrike Lohmann aus Westen entschließen sich dazu, ihren Betrieb, der mittlerweile seit 12 Generationen im Familienbesitz ist, auf ökologische Landwirtschaft umzustellen. Beide haben in Göttingen Landwirtschaft studiert und sich in externen Seminaren über die Möglichkeiten alternativer Landwirtschaftsformen informiert. „Am Ende haben wir uns unter den Anbauverbänden, die es damals schon gab, für Bioland-entschieden“, erinnert sich Ehler Lohmann. „Der Fokus auf nachhaltige Anbaumethoden und Naturschutz passte einfach am besten zu uns.“
In diesem Jahr feiert Bioland seinen 50. Geburtstag. Was 1971 mit einer Idee von 12 Frauen und Männern begann, hat sich zu Deutschlands größtem Bio-Anbauverband mit rund 10.000 Betrieben aus Erzeugung, Herstellung und Handel entwickelt. Vieles aber ist auch konstant geblieben: Die Bioland-Betriebe wirtschaften entlang der gesamten Wertschöpfungskette nach strengen Bioland-Vorgaben. Gemeinsam bilden sie eine Wertegemeinschaft zum Wohl von Mensch und Umwelt und setzen sich auf vielen Ebenen für die Anliegen des Ökolandbaus und den Erhalt unserer Lebensgrundlagen ein.
Als die Lohmanns zu Biobauern wurden, war der Verband gerade einmal 14 Jahre alt und die Lohmanns gehörten zu den Pionieren in Niedersachsen. Biolandbau war ein neues Konzept. Der Begriff war nicht geschützt, ein Bio-Siegel gab es noch nicht. Wer sich dafür entschied, seinen Betrieb auf biologischen Anbau umzustellen, betrieb echte Forschungsarbeit – jede Ernte ein neues Experiment. „Am Anfang waren wir nur eine Handvoll Mitglieder. Wir haben uns gegenseitig weitergebildet und Erfahrungen geteilt“, erzählt Ehler Lohmann von den ersten Jahren. „Es war eine gelungene Mischung aus learning by doing und learning by abgucken.“ Während Deutschland sich wiedervereinigte, ein neues Jahrtausend anbrach und Angela Merkel Kanzlerin wurde, etablierte sich der Biolandbau in Deutschland – und der Lohmannshof in der Region, bei den Kunden und auch bei den konventionellen Kollegen. „Wir haben allen gezeigt, dass es keine Spinnerei ist, was wir Bios machen“, resümiert Ehler Lohmann.
Mittlerweile hat Tochter Amalie das Regiment auf dem Lohmannshof übernommen. Ändern möchte sie nur wenig. „Ich hatte das große Glück, von meinen Eltern einen florierenden Bio-Betrieb in voller Fahrt zu übernehmen“, sagt sie. Lediglich die Geschäftsstruktur ist jetzt anders. Die Landwirtschaft läuft als KG, die Backstube und der hofeigene Laden als GbR. „Dadurch ist die Verantwortung auf mehrere Schultern aufgeteilt, das macht alles leichter“, erklärt sie.
Einen ganz anderen Start ins Bioland hatten Mario und Julia Kampe aus Syke. Sechs Jahre lang lag der Betrieb von Julia Kampes Eltern bereits brach, als die beiden sich 2003 entschlossen, ihn nach Bioland-Richtlinien wieder aufzubauen. „Am Anfang gab es gar nichts“ erinnert sich Mario Kampe, „außer den Gebäuden, einem Trecker und einem Hänger.“ Als der erste Jahresabschluss fällig wurde, sah es gar nicht gut aus: „Und wovon haben Sie eigentlich gelebt?“ fragte der Steuerberater entsetzt.
„Es war eine harte Zeit“, gibt Mario Kampe zu. „Rückblickend würde ich sagen, niemand sollte versuchen, gleichzeitig einen Betrieb und eine Familie zu gründen.“ Doch Stück für Stück eroberten die Kampes sich ihren Platz in der Landwirtschaft, im Dorf – und in den Herzen ihrer Kunden auf den Wochenmärkten oder schließlich im eigenen 120 Quadratmeter großen Hofladen. Selbst als nur zwei Kilometer entfernt ein moderner Bio-Supermarkt öffnete, blieb die Kundschaft den Kampes treu: „Das war schon eine große Erleichterung und auch ein tolles Gefühl. Überall um uns herum gab es plötzlich jede Menge Bio-Angebote, aber die Kunden sind trotzdem weiter zu uns gekommen. Das Stück vom Kuchen wurde für uns nicht kleiner, sondern der Kuchen wurde einfach größer.“ Und ihre drei Kinder nahmen es den Eltern auch nicht übel, dass sie in den ersten Jahren mehr Zeit im Gewächshaus als auf dem Spielplatz verbringen mussten. „Unsere älteste Tochter hilft heute viel mit im Betrieb“, freut sich Mario Kampe. „Sie ist eine richtig tolle und verlässliche Kollegin.“
Im Gegensatz zu Kampes und Lohmanns hatten Max Kühne, Sonja Filip und Thomas Schreier keinen geerbten Familienbetrieb, als sie im vergangenen Jahr als eines der jüngsten Mitglieder zu Bioland stießen. Max Kühne hat ein Elektrotechnik-Studium hinter sich, seine Frau Sonja Filip hat Sinologie und Archäologie studiert. „Aber wir haben uns viel damit beschäftigt, wo unsere Lebensmittel herkommen“, erzählt Max Kühne. „Und irgendwann habe ich dann umgesattelt und eine Ausbildung zum Landwirt gemacht.“ Den passenden Hof fanden sie 2018 im ostfriesischen Großefehn – und damit zufällig nur 15 Kilometer von Sonja Filips Heimatdorf entfernt. „Das Geld, einen Hof wie diesen zu kaufen, hatten wir nicht“, erklärt Max Kühne ihre Idee. „Aber der Sohn der Besitzer, der den Betrieb nicht selber weiterführen wollte, hat andere junge Menschen gesucht die Lust hatten den Hof wieder landwirtschaftlich zu nutzen. Alle gemeinsam entschieden wir uns für das Modell der Solidarischen Landwirtschaft.“
So teilen sich nun viele Familien aus der Umgebung die anfallenden Kosten der Gemüseerzeugung auf dem neu getauften Gröönlandhof. Max Kühne und Sonja Filip bewirtschaften die Gemüsefelder gemeinsam mit Thomas Schreier, der ebenfalls ausgebildeter Landwirt ist und bereits in der Solawi Freudenthal als Gärtner tätig war. Wer möchte, kann jederzeit vorbeikommen, mithelfen oder sich auch einfach nur anschauen, wie die Tomaten und Gurken wachsen. Und am Ende wird die Ernte gerecht zwischen allen Partnern aufgeteilt. „Es war ein großartiges Gefühl, als wir zum ersten Mal unsere eigene Ernte ausliefern konnten“, erinnert sich Max Kühne. „Auch wenn es erst mal nur zwei Salatköpfe und ein bisschen Schnittsalat für jeden waren. Damit es besser aussieht, haben wir schnell noch ein paar Wildkräuter gesammelt und dazu gelegt.“ Inzwischen gibt es für die Ernteteiler des Gröönlandhofs jede Woche einen üppig bestückten Korb. Und Interessenten gibt es genug: Gerade in den vergangenen Monaten der Corona-Pandemie, als die Menschen im Homeoffice saßen und Gelegenheit hatten, sich über ihre Ernährung Gedanken zu machen, bekamen Alternativen zum Supermarkt-Einkauf wie die Solidarische Landwirtschaft noch einmal so richtig Rückenwind. „Wir wurden im Bioland sehr freundlich aufgenommen“, berichtet Max Kühne von seinen Erfahrungen. „Die anderen Mitglieder hier in der Umgebung haben uns herzlich begrüßt und an die Hand genommen. Auch von unserem Berater fühlen wir uns immer sehr gut verstanden und abgeholt.“
Mit den neuen Wirtschaftsformen sind die Betreiber des Gröönlandhofs und auch Amalie Lohmann auf ihre Art ebenso Pioniere der Landwirtschaft, wie es Kempes 17 Jahre und die ältere Generation der Lohmanns 35 Jahre vor ihnen waren. Ihre ganz persönliche Antwort auf die Frage: „Wie soll die Landwirtschaft der Zukunft aussehen?“ gab ihnen den Mut, Neues zu probieren. Damals wie heute bietet der Bioland-Verband visionären Betrieben ein zu Hause, die das Versprechen „Wir sind die treibende Kraft für die Landwirtschaft der Zukunft“ mit Leben füllen wollen.
Ob ihre Kinder eines Tages den Gröönlandhof weiter bewirtschaften werden, wissen Max Kühne, Sonja Filip und auch Thomas Schreier noch lange nicht. „Sie sollen aber ihre eigenen Pläne und Leidenschaften verwirklichen dürfen, so haben wir es ja schließlich auch gemacht“, sind sie sich einig. "Vielleicht finden sich in 30 Jahren ja auch andere junge Menschen die motiviert sind die solidarische Landwirtschaft auf dem Gröönlandhof als Bioland-Betrieb weiterzuführen." „Wie auch immer unsere Kinder sich entscheiden, sie wissen von uns, dass Landwirtschaft – und vor allem die ökologische Landwirtschaft - nicht einfach nur ein Beruf ist, sondern eine Lebensform“, fügt Mario Kampe hinzu. „Man arbeitet, wohnt und lebt sehr eng mit anderen Menschen zusammen.“ Und für Ehler Lohmann ist es vor allem die Begeisterung des Ausprobierens, die er auch seinen Enkelkindern wünscht, sollten sie eines Tages die 13. Lohmann-Generation auf dem Betrieb werden: „Sie sollten Landwirtschaft immer auch als Hobby und Liebhaberei und als großen Experimentierkasten verstehen“, findet er. „Wenn diese Neugier mit gutem Wissen und einer fundierten Ausbildung gepaart ist, kann eigentlich gar nichts mehr schiefgehen.“

Bioland Niedersachsen/Bremen e.V.
Bahnhofstr.15, 27374 Visselhövede

N.N. - Geschäftsführerin
Dr. Illka Engell - Presse-/Öffentlichkeitsarbeit

Tel. 04262 95900
Fax 04262 959050
E-Mail: info-niedersachsen(at)bioland.de