Appell auf europäischer Bühne: "Gebt uns die Plattformen, die wir dafür brauchen und auch verdienen"
Lennart, danke, dass du dir direkt nach der langen Rückreise Zeit nimmst. Was sind deine Eindrücke von deiner Teilnahme an dem Kongress?
Lennart: Für mich persönlich ist es besonders beeindruckend, auf welch‘ großer Bühne „Öko“ inzwischen stattfindet. Aus meinem Alltag kenne es vor allem aus der betrieblichen Praxis. In Budapest waren Branchenvertreter*innen aus ganz Europa anzutreffen.
Wie lautete das Leitthema des EOC in diesem Jahr?
Unter dem Motto „Building a common vision for the future of food and agriculture“ wurden aktuelle und künftige Herausforderungen wie die Verbesserung der Position von Erzeuger*innen am Markt, die GAP, die neue Gentechnik und der kürzlich zu Ende gegangene Brüsseler Strategiedialog zur EU-Landwirtschaft, an dem auch Bioland-Präsident Jan Plagge führend teilgenommen hat, diskutiert.
Und zu welchem Thema wurdest du zum EOC eingeladen?
IFOAM ist es ein Anliegen, Jugendbeteiligung zu stärken. Als einzige konstituierte Öko-Jugendorganisation können wir von unseren Erfahrungen berichten. Das haben wir auch schon im Sommer beim Organics European Youth Event in Bari getan. Wir sind überzeugt, dass hier viel Potenzial liegt.
Welches Potenzial liegt deiner Meinung nach in einer organisierten Jugendbeteiligung?
Die Ökobranche hat sich bisher stets als eine Bewegung beschrieben. Als die Bio-Bewegung und sie auch so gelebt. Nach eigenen Werten und Idealen. Und das ist etwas sehr Wertvolles. Gemeinsame Werte schaffen etwas Verbindendes. Sie schaffen Gemeinschaft und motivieren, sich auch gegen politische, wirtschaftliche oder auch gesellschaftliche Widerstände durchzusetzen. Wenn wir uns auch in Zukunft als solche verstehen wollen, wird es entscheidend sein, dass diese Ideale und Werte auch fortgetragen, gar bewahrt werden. Insbesondere dann, wenn wir Bio zunehmend erweitern und uns öffnen wollen.
Bioland ist nun bereits über 50 Jahre alt. Das heißt, dass bereits die zweite oder teilweise auch dritte Generation an Bioländerinnen und Bioländern dabei ist. Der Gründergeist der Pioniere aus der Anfangszeit hat sich über die Jahre weitergetragen. Doch der Übergang von einer Generation auf die nächste ist dabei keineswegs trivial. Mit einer neuen Generation kommen auch immer neue Ideen und Wertvorstellungen hinzu, was auf der einen Seite sehr gut und wichtig ist und die Bewegung weiterentwickeln kann. Gleichzeitig denke ich, dass es für diese unsere Bewegung ebenso bedeutsam ist, die Ideale, die Konzepte der älteren Generation zu erleben. In dem engen Zusammenspiel verschiedener Generationen und ihrer Vorstellungen, nicht auf einem einzelnen Betrieb, sondern auch innerhalb eines ganzen Verbandes und darüber hinaus sehe ich großes Potential. Für eine gemeinsam getragene Vision für die Landwirtschaft der Zukunft ist es jedenfalls entscheidend.
In welchen Bereichen ist eine stärkere Jugendbeteiligung deiner Meinung nach unbedingt erforderlich?
Mit der Landwirtschaft geht immer auch eine Verantwortung einher. Verantwortung für den Betrieb und die Familie, aber gleichzeitig auch darüber hinaus für die Lebensmittelversorgung und für die Erhaltung und Förderung einer gesunden Umwelt. Nicht umsonst betonen wir doch immer wieder, dass Bauer bzw. Bäuerin der wichtigste Beruf der Welt ist. Und ich bin mir sicher, dass es für Viele auch der schönste Beruf der Welt ist. Doch wenn dieser Beruf in einem System ausgeübt werden muss, welches den Landwirt und die Landwirtin und ihre individuelle Entscheidungsfreiheit nicht in sein Zentrum stellt, sondern vielleicht marktwirtschaftliche Modelle oder bürokratische Konstrukte, dann wird aus dem wichtigsten und schönsten Beruf sehr bald der anstrengendste und schwierigste Beruf. Dann müssen wir uns auch nicht wundern, wenn nur noch sehr wenige junge Menschen bereit sind, in die Landwirtschaft zu gehen. Wenn es uns jedoch gelingt, ein System zu schaffen, das Junglandwirt*innen bei der Hofübernahme aktiv unterstützt oder die Investition in nachhaltige, ökologische Praktiken fördert, dann kann diese Verantwortung, die vielleicht erst eine Bürde war, nun zu unserem stärksten Argument werden, Menschen von der Bedeutung der ökologischen Landwirtschaft zu überzeugen. Genau hier sind Strukturen der Jugendbeteiligung wichtig. Schließlich geht es um uns und dass wir auch in Zukunft diese Verantwortung übernehmen wollen und sollen.
Nun hattest mit dem „Closing dialogue“ quasi das Schlusswort des Kongresses. Welche konkrete Botschaft hast du den Teilnehmenden mitgegeben?
Damit wir Verantwortung übernehmen können, brauchen wir die Unterstützung der Verbände. Meine Hoffnung ist, dass die Verbände und Funktionsvertreter erkennen, dass eine stärkere Beteiligung der jungen Generation nicht bloß ein Entgegenkommen ist, sondern in ihrem eigenen Interesse liegt, im Fortbestehen und in der Weiterentwicklung der Bio-Bewegung. Als Partner in dieser gemeinsamen Sache können wir Strukturen der Beteiligung kreieren und austesten. Ich bin davon überzeugt, dass die Jugend als Mitstreiter dabei eine herausragende Rolle spielen kann und muss. Mein Aufruf lautete abschließend also: Gebt uns die Plattformen, die wir dafür brauchen und auch verdienen. So können wir die Bio-Bewegung stärken und gemeinsam an der Landwirtschaft von Morgen arbeiten.
Warum ist jetzt der richtige Zeitpunkt, um mehr Jugendbeteiligung zu fordern?
Wenn es bisher kaum Konzepte der Jugendbeteiligung gegeben hat, so kann der richtige Zeitpunkt nicht in der Zukunft liegen. Die Zeit ist also jetzt!
Und wie soll es nun weitergehen?
Mit dem Junges Bioland e.V. haben wir bei Bioland bereits etwas geschafft. Wir haben der Bioland-Jugend eine organisierte Stimme gegeben und diese im Bioland-Verband und auch weit darüber hinaus etablieren können. Ich bin davon überzeugt, dass wir alle davon profitieren würden, wenn es mehr solcher klaren Jugendstrukturen gäbe. In Deutschland, aber auch europaweit. Ich hoffe, dass sich nun mehr junge engagierte Landwirt*innen gemeinsam mit ihren Verbänden aufmachen und hier Potentiale entdecken und entwickeln. Aus vielen Gesprächen auf diversen Veranstaltungen habe ich diesen Wunsch und Zustimmung dazu gespürt. Und so, wie es uns bereits in Deutschland mit dem Bündnis JöLL, einem Zusammenschluss aus sechs Ökojugendorganisationen, gelungen ist, wäre eine internationale Zusammenarbeit mit anderen nationalen Jugendorganisationen vorstellbar und für mich absolut wünschenswert. Erste konkretere Gespräche und Ideenaustausche hat es dazu bereits gegeben. Weitere werden noch in diesem Jahr folgen.
Foto: Maximilian Schneider