Mitten im Südtiroler Schnalstal liegt der Oberniederhof (Fotos: Marta Fröhlich)

Wie die Gans ins Schnalstal kam

Ein Hofbesuch bei Familie Tappeiner

10.12.2019

Tief in Südtirol führen Petra und Johnny den geschichtsträchtigen Oberniederhof. Ihre Familie ist zusammengewachsen aus zwei unterschiedlichen Kulturen. So zeigen sie, dass Tradition und Aufbruch kein Widerspruch sein müssen. Eine Weihnachtsgeschichte.

Von Marta Fröhlich

Alles beginnt, als Petra das erste Mal aus dem brodelnden Berlin ins stille Schnalstal kommt. Etwa 30 Jahre ist das nun her. Mitten in Südtirol will sie ihre Skifreizeit verbringen - und trifft Johann. Johann, den sie hier Johnny nennen, ist einer von den Alteingesessenen, ein Ur-Schnalser, seine Eltern, die Tappeiners, betreiben den Oberniederhof, eine Michvieh-Wirtschaft mit 700-jähriger Geschichte.

Petra und Johnny werden ein Paar, doch Johnny wird den elterlichen Betrieb übernehmen. Petra wagt den Schritt. Die quirlige Berlinerin zieht der Liebe wegen zu Johnny auf den Hof der Schwiegereltern. "Ich habe mich schon damals gefragt: Ist alles richtig, wie es ist? Kann sich nicht auch was ändern?", erinnert sich die 54-Jährige, während sie mit festem Schritt über den verschneiten Innenhof zum Stall läuft.

 

Gerade die ländliche Bevölkerung Südtirols ist sehr gläubig

 

 

Fabian Tappeiner, hier mit Neffe Paul, ist auf dem Oberniederhof aufgewachsen und soll diesen mal übernehmen

 

 

Die Tappeiners züchten alte Rassen - auch das Schwäbisch-Hällische Schwein

 

 

Das Tiroler Grauvieh ist eine robuste Rasse auch für Höhenlagen

 

Mit Kerzen und dunklem Tannengrün hat sie schon manches Fenster des Bauernhauses dekoriert, das Weihnachtsfest kündigt sich an. Damals fällt es Petra schwer, die Art und Weise, wie auf dem Oberniederhof Landwirtschaft betrieben wird, zu akzeptieren. Und das sagt sie laut. Ein Kulturschock für beide. "Wir Berliner sagen halt einfach, was wir denken. Die Südtiroler sind da nicht so offen", erklärt Petra. Aber Johnny hört die Kritik seiner Frau, nimmt sie ernst.

Alte Rassen und viel Platz

In den Neunzigern übernehmen die beiden den Hof von Johnnys Eltern, stellen um auf Bio, schließen sich Bioland an, widmen einen großen Teil ihrer Arbeit der Zucht seltener Nutztierrassen. "Das Tiroler Grauvieh gehört hierhin, ist aber mittlerweile immer seltener geworden. Das wollten wir ändern", sagt Petra, während sie durch den großen Stall läuft. Es riecht nach Heu und tierischer Wärme. "Früher standen die Rinder angebunden an ihren Plätzen. Das war normal. Aber das muss heute nicht so sein. Unsere Tiere haben jetzt einen großen Laufstall, wenn sie nicht wie im Sommer auf den Wiesen sind. So können sie auch ihre Hörner behalten. Auch das ist mir einfach wichtig", erklärt Petra und wuschelt einem neugierigen Jungbullen, der an ihrem Mantel zupft, durchs Fell.
Mit der Jahrtausendwende tut sich wieder was auf dem Hof, die ersten Ferienwohnungen werden in den historischen Gebäuden des Oberniederhofs vermietet. Wirbelwind Petra umsorgt die Gäste, ist das Gesicht des Hofes und über die Täler hinweg bekannt. Die beiden, mittlerweile vierfache Eltern und sogar Großeltern, entwickeln den Betrieb kontinuierlich weiter, gehen einen Weg, der manchmal Kompromisse, meist jedoch gute Lösungen für beide bereithält.

Der erste Weihnachtstag gehört dafür jeder Familieneinheit für sich. Die Kinder feiern mit ihren Partnern, Oma und Opa Tappeiner in ihrer Wohnung im Nebengebäude. Bei ihnen kommt traditionell Kartoffelsuppe mit Wurst aus eigener Herstellung auf den Tisch - ein Essen, das in Südtirol weitverbreitet ist. Bei Johnny und Petra brutzelt unterdessen die Weihnachtsgans im Ofen. "Das ist für uns hier im Tal sehr ungewöhnlich", berichtet Johnny, "Geflügel ist hier nicht üblich, Schweine und Rinder sind typisch. Deshalb ist es auch gar nicht leicht, an eine Gans zu kommen." Für Petra ist dieses Essen jedoch ein Stück ihrer Berliner Heimat, ihrer Kindheitserinnerungen.Doch genauso wie ihre Gans liebt Petra mittlerweile auch manchen Südtiroler Brauch. Das "Krippeleschaugn" zum Beispiel. Früher stellte jeder Hof für sich eine Krippe auf, an den Weihnachtstagen zog man dann ringsum zu den Nachbarn und schaute sich gemeinsam die Szenerie an. "Das finde ich einfach schön", sagt Petra und freut sich schon auf die Runde durchs Tal. Und auch der Brauch des Räucherns liegt ihr sehr am Herzen. In den Rauhnächten zwischen den Jahren geht Petra, die sonst um keinen frechen Spruch in keckem Berlinerisch verlegen ist, mit glimmenden Kräutern und Wurzeln andächtig durch Haus und Hof, über die knarzenden jahrhundertealten Dielen, bis in den Stall, um das Glück fürs neue Jahr zu sichern und das Anwesen von schlechten Schwingungen zu reinigen. So wie in es seit Jahrhunderten in Südtirol Brauch ist.

Ein traditionsreicher Hof mit Zukunft

So gehen bei den Tappeiners Tradition und Wandel Hand in Hand. Vor allem Vater Johnny, heute 55, ist viel daran gelegen, seinem Sohn Fabian demnächst einen zukunftsfähigen Hof zu übergeben. "Und das geht nur, wenn wir nach vorn denken, Kompromisse eingehen, uns weiterentwickeln." Auf die Frage, ob sie sich mal vorstellen könnten, aus dem Schnalstal wegzuziehen, kommt ein flottes und ehrliches "Na klar!" Auch von Johnny. Denn ein Südtiroler, der sogar an Weihnachten Gans ist, der ist für jede Verrücktheit zu haben.

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