Die Arbeit von Bienen ist für unser Leben besonders wertvoll (Fotos: imago)

Der Preis der Natur

Wenn Bienen und Bäume uns zur Kasse bitten würden

12.07.2016

Das macht zehn Euro, bitte. Was, wenn neben jedem Baum ein Münzautomat stehen würde, den man füttern müsste, um Sauerstoff zum Atmen zu haben? Für viele gilt noch immer: Was nichts kostet, ist nichts wert. Das wollen Wissenschaftler jetzt ändern - und errechnen den Preis der Natur.

Von Magdalena Fröhlich

Für einen Hund kann man schon mal ein paar tausend Euro hinblättern. Für eine Biene auch. Theoretisch zumindest. Forscher haben berechnet, wie viel die Bestäuber quasi umsonst für die Menschen schuften. So wirft ein Rapsfeld rund 30 Prozent mehr Ertrag ab, wenn Bienen in der Nähe sind. Und eine Mandelplantage würde ohne die Bestäubung der Bienen überhaupt nicht rentabel sein. Die Bestäubungsleistung der Bienen schätzen Forscher auf 265 Milliarden Euro weltweit - und dabei sind Honig und Wachs noch nicht einmal mit eingerechnet. Auch eine alte Eiche leistet Dienste, die unbezahlbar sind.

Auch ein einzelnes Blaukehlchen leistet einen enormen Beitrag für unsere Natur

Es geht nicht um den Preis, sondern um den Wert

Bereits in den 1980-Jahren hat der Kybernetiker und Umweltforscher Prof. Frederic Vester versucht, den Wert eines Blaukehlchens auszurechnen. Er kam dabei auf einen Wert von 301,38 Mark pro Jahr, bezogen auf die Lebensdauer eines Blaukehlchen insgesamt 1.357,13 Mark. Das wären heute rund 150 beziehungsweise 700 Euro. So gesehen, flattert also ziemlich viel Bares im Garten ums Futterhäuschen. Aber auch damals schon ging es nicht um ein Preisschild, sondern darum, den Menschen den Wert der Natur zu vermitteln.


Und wie lebenswert wäre eine Innenstadt ohne Bäume? Weil die Natur kein Preisschild hat, wird der Wert ihrer Gratis-Service-Leistungen für den Mensch oft kaum beachtet. Um diesen Wert zu beziffern, geben die Forscher der TEEB-Studie jetzt Bienen, Büschen und Bäumen einen ungefähren Preis.

TEEB steht für "The Economics of Ecosystems and Biodiversity - Die Ökonomie von Ökosystemen und der Biodiversität" und ist eine internationale, interdisziplinäre Studie unter der Schirmherrschaft des Umweltprogramms der Vereinten Nationen. Zahlreiche Länder errechnen seit einigen Jahren den Wert von Ökosystemdienstleistungen in ihren Ländern, um klar zu machen, dass die Zerstörung von Natur auch einen volkswirtschaftlichen Schaden anrichten kann. In Deutschland erschienen die letzten beiden Berichte im Frühjahr diesen Jahres. Sie beschäftigen sich zum einen mit dem Naturkapital im ländlichen Raum und in der Stadt.

 

Kann man Natur in Geld aufwiegen?

Aber warum muss man Natur überhaupt in Geld aufwiegen? Und kann man das überhaupt? Ja, sagen gleichwohl Wissenschaftler, Unternehmer, Politiker und auch Naturschützer. Zumindest teilweise. Fragt man den Leiter der deutschen TEEB-Studie, Professor Bernd Hansjürgens, wie viel etwa ein Marienkäfer wert ist, dann lacht er und fragt: "Ein Marienkäfer, der sich auf ihre Nase setzt, während Sie sich gerade mit Ihrem Partner streiten - und der Marienkäfer diesen Streit durch seine Schönheit, durch diesen Schönheitsmoment, den er auslösen kann, plötzlich als Nebensächlichkeit entlarvt. - Welchen Wert wollen Sie dann dem Marienkäfer beimessen? 49 Euro? So viel hätte vielleicht eine Therapiesitzung für Paare gekostet?" Natürlich kann man nicht den Wert eines einzelnen Käfers errechnen. "Das wäre auch gar nicht zielführend", sagt Hansjürgens. "Meist schätzen wir aber nur das, von dem wir uns bewusst sind, wie viel es wert ist.

Deshalb rechnen wir den Preis von Ökosystemdienstleistungen aus. Das ist auch für Kommunen und Unternehmen wichtig - geht eine Ressource verloren, weiß man, welche Kosten dann auf einen zukommen können. Oder man kann argumentieren, dass der Erhalt von Natur oft weniger ins Haushaltsbuch einschlägt als die Folgen deren Zerstörung."

 

Es gibt keinen Markt für Sauerstoff

Und das ist schwierig genug. So haben Forscher errechnet, dass ein einzelner Laubbaum jeden Tag rund 10.000 Liter Sauerstoff produziert - damit könnte er acht Menschen versorgen. Aber wie viel müsste man ihm dafür zahlen? Es gibt keinen Markt für Sauerstoff.

Einen für Holz dagegen schon. Das weiß jeder, der schon einmal in einem Baumarkt war oder Brennholz gekauft hat. Das Ökosystem Wald dagegen hat keinen Preis. Obwohl es sehr viel leistet: Es produziert Sauerstoff, speichert Kohlenstoff im Boden und trägt so zum Klimaschutz bei, speichert Wasser, ist Lebensraum für zahlreiche Pflanzen und Tiere und für viele Menschen ein Ort der Erholung. Wer würde ohne Wald in den Bayerischen Wald fahren? Und welchen Schauplatz hätten zahlreiche Märchen, wenn es den Wald nicht gäbe. Wald ist auch Kulturgut. Das zu messen ist schon schwieriger.

Einige Parameter gibt es dazu dennoch: "Das sind zum einen Basisleistungen, etwa die Fruchtbarkeit von Böden - ohne diese würde ein Ökosystem gar nicht funktionieren", so Hansjürgens. "Es würden weder Bäume im Wald noch Getreide auf dem Acker wachsen. Dazu kommen Versorgungsleistungen - das wären dann zum Beispiel die Pilze, die Sie im Wald sammeln können, das Holz oder eben das Getreide, das Sie essen. Und drittens gibt es noch Regulierungsleistungen. Etwa, dass Waldboden Wasser speichert und ein brachliegendes Feld anders als ein begrüntes erosionsgefährdet ist. Viertens kommen noch kulturelle Leistungen hinzu - also etwa der Erholungsfaktor in der Natur."

Dieser Wald in der Lüneburger Heide bietet Lebensraum für viele verschiedene Lebewesen

Lebensraum Wald

Allein in Deutschland leben rund 4.600 Tier-, Pflanzen- und Pilzarten an oder in Holz, vor allem Totholz. Für verschiedene Waldökosysteme geht man davon aus, dass 30 bis 40 Kubikmeter Totholz je Hektar Waldfläche - im Bergmischwald sogar bis zu 60 Kubikmeter - benötigt werden, um eine möglichst vollständige Totholz-Lebensgemeinschaft zu erhalten.
(Quelle: www.bfn.de)


Was ist uns die Natur wert?

Um aber etwa zu errechnen, mit wie viel Euro der Erholungsfaktor angegeben werden soll, untersuchen die Forscher, wie viel Geld Menschen bereit sind auszugegeben, um etwa einen Nationalpark zu besuchen - von langen Anfahrtswegen, Hotelkosten bis zum Eintritt. Bereits jetzt zahlen wir für den Erhalt von Natur - etwa wenn wir Urlaub an der Nordsee machen und dort Kurtaxe errichten. Dieser Beitrag wird unter anderem dazu verwendet, dass wir einen leichten Zugang zur Natur haben, etwa indem Wanderwege in Schuss gehalten werden oder der Strand sauber ist.

Natur kann Kosten sparen

Auch die Wälder in Canberra erholen sich von den Waldbränden in Australien im Jahr 2020




Auch der Haushalt einer einzelnen Stadt kann durch mehr Natur entlastet werden. Im australischen Canberra wurden 400.000 Bäume gepflanzt, um das Mikroklima zu regulieren, die Luftqualität zu verbessern, den Energieverbrauch der Klimaanlagen zu reduzieren und Kohlenstoffdioxid zu speichern. Der damit verbundene Gewinn für die Stadt - durch zusätzlichen Nutzen oder eingesparte Kosten - wird für den Zeitraum 2008 bis 2012 auf 13,5 bis 45 Millionen Euro geschätzt, haben Wissenschaftler der internationalen TEEB-Studie herausgefunden.
(Quelle: www.teebweb.org)


Doch wo wir vielleicht Kegelrobbenbabys sehen wollen und dafür bezahlen, ist der Wert der Arten oft nicht auf dem ersten Blick ersichtlich. Für fruchtbaren Boden braucht es Kleinstlebewesen, die etwa abgestorbene Pflanzen zersetzen und in wertvollen Humus umwandeln. Das macht der Regenwurm genauso wie die Assel, Milbe oder zahlreiche Bakterien. Und dafür würde man im ersten Moment nicht unbedingt Geld auf den Tisch legen. "Egal, ob es ums Essen oder die Gesundheit geht - ohne Ökosystemdienstleistungen könnten wir nicht existieren", so Hansjürgens. Konkret wird das etwa beim Hochwasserschutz: "Eine Rückverlegung der Deiche mit Überschwemmungsflächen und Auwäldern ist meist kostengünstiger als technischer Hochwasserschutz mit Schutzwänden und Co.", erklärt der der Ökonom.

Der Sportartikelhersteller Puma war 2011 das erste Unternehmen weltweit, das eine ökologische Gewinn- und Verlustrechnung aufgestellt und etwa den Wasserverbrauch und die Treibhausgasemissionen gemessen hat. Der Global Nature Fund hat dazu eine Studie herausgegeben. Motive, eine solche Bilanzierung zu erstellen, seien unterschiedlich und reichten von der internen Entscheidungsfindung für oder gegen eine neue Produktionsmethode oder gäben Hilfestellung, wo Nachhaltigkeitsinitiativen am wirksamsten greifen.

 

Was passiert, wenn etwa ein Wald nicht mehr da ist

Eine Holzplantage in China

Im Zeitraum 1949-1981 holzte China rund 75 Millionen Hektar Wald ab, wobei es sich zu 92 Prozent um natürliche Wälder handelte, um die Nachfrage, etwa nach Bauholz, zu decken. Die rasche Entwaldung führte zum Verlust von Ökosystemleistungen: 1997 fiel der Gelbe Fluss in Nordchina an 267 Tagen trocken, was schwerwiegende Auswirkungen auf industrielle, landwirtschaftliche und private Wasserverbraucher nach sich zog. In darauffolgenden Jahr verloren infolge von verheerenden Überschwemmungen im Einzugsgebiet des Jangtse und anderer großer Flüsse 4150 Menschen ihr Leben und Millionen von Menschen ihre Unterkunft, wobei wirtschaftliche Schäden in Höhe von rund 30 Milliarden US-Dollar. Die chinesischen Behörden kamen zu dem Schluss, dass diese tragischen Ereignisse durch Entwaldung und landwirtschaftliche Bewirtschaftung von Steilabhängen verursacht wurden.
(Quelle: www.naturkapital-teeb.de)


Oft ist es aber so, dass ein Unternehmen hier in Europa einen Wald rodet, um ein neues Firmengelände aufzubauen, aber dafür Bäume an anderer Stelle pflanzt. Das ist per se nicht verkehrt, findet Hansjürgens: "Wir sprechen uns dafür aus, die Nutzung von Ökosystemleistungen woanders auszugleichen, wenn ein Eingriff unvermeidlich ist und wenn es dort, wo man das jeweilige Ökosystem nutzt, nicht möglich sein sollte. Aber das darf nicht dazu führen zu glauben, man könnte die Nutzung an einem Ort 1:1 an einem anderen Ort ausgleichen", erklärt er.

Ein anderer Irrglaube wäre es zu denken, man müsse den Lebensraum einer Tier- oder Pflanzenart nicht schützen, nur weil man - noch - keinen konkreten Nutzen dieser Art ausmachen kann. Weltweit werden beispielsweise 50.000 bis 70.000 Pflanzenarten als Arzneipflanzen vermarktet. Wer kann da schon wissen, welche man noch braucht? Oder welche für die Züchtung einer Getreidesorte wichtig ist, die etwa widerstandsfähig gegen veränderte Klimabedingungen ist? Hansjürgens kennt das Problem. "Leider ist das, was wir für umsonst von der Natur bekommen, erst dann wertvoll, wenn wir den Preis kennen. Oder wenn wir es verloren haben."

 

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