Frauenpower: In den drei Generationen am Bioland-Hof Sandrock ist Frauenpower angesagt (Fotos: Olaf Tamm)

Vom Treffen am Küchentisch zum Online-Meeting

Wenn Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sich bereichern

19.04.2021

In diesem Jahr feiert Bioland seinen 50. Geburtstag. Auch die Familie Sandrock aus Hessen feiert mit. Schließlich ist sie fast von Anfang an dabei – auch wenn sie eigentlich nur ihren Garten biologisch bewirtschaften wollten. Heute ackern gleich drei Generationen für das Beste, nehmen viel aus der Vergangenheit mit und gestalten schon heute unser Morgen.

Von Niklas Wawrzyniak

Wenn man Gita Sandrock beim Erzählen zuhört, wird man selbst ganz ruhig. Es ist die Mischung aus Gelassenheit und aus Veränderungswillen, die die ausstrahlt. Nach dem Motto: Es ist schon alles gut, wie es ist, aber ein bisschen besser geht es bestimmt auch. Dazwischen liegt eine Konstanz, eine Verwurzelung, die der Biolandhof Sandrock bei Kassel und seine Menschen verströmen.

Cornelia stellte den Betrieb mit ihrem Mann im Jahr 1975 um

 

Die Menschen, das sind neben Gita selbst ihre Mutter Cornelia, ihr Mann Heiko und die drei gemeinsamen Töchter Lea, Ella und Maila. Eine Halbtagskraft kümmert sich um den Ackerbau, Heiko arbeitet als Bauingenieur extern. Gegründet wurde der Betrieb bereits 1967 von einer anderen Generation - Gitas Großeltern.

Der Bioland-Betrieb liegt alleingelegen am leichten Hang. Die Gebäude – Flachbauten, weiß gestrichener Klinker, verzinkte Silos, aufgesatteltes Wohnstockwerk – und der mit grauen Knochensteinen gepflasterte Hof erinnern eher an ein auf Effizienz ausgelegtes Verarbeitungsunternehmen als an einen bio-landwirtschaftlichen Betrieb.

Wie das Haus, so die Menschen. Hier wird gewirtschaftet - nicht weniger aber gelebt. Die Menschen sind zentral, die Arbeit passt sich an. „Wir haben gerne gearbeitet, es hat Spaß gemacht! Und wir haben versucht, unser Drumherum so zu gestalten, dass wir uns wohlfühlen.“ Das sagt Cornelia Sandrock, Jahrgang 1945, die mittlerweile den eigenen Hofladen mit Begeisterung führt. Dort gibt es Eier, Geflügelfleisch und Kartoffeln vom Hof und ein Naturkostvollsortiment von Naturkost Elkershausen. „Viele kommen hierher und erledigen ihren gesamten Wocheneinkauf“, erzählt sie.

 

Aus voller Überzeugung

Ursprünglich kam der Bio-Gedanke der Familie Sandrock für den Garten. Und weil das gut ging, haben sie ihn auch im Feld umgesetzt. Später kamen auch Hühner dazu. „Wir haben uns oft in den Familien von Gleichgesinnten getroffen und Doktor Müller in der Schweiz besucht“, erzählt Cornelia als Hofälteste. Gemeinsam mit ihrem mittlerweile verstorbenen Mann schloss sie sich im Jahr 1975 unserem Verband an, also nur vier Jahre nach Gründung. Ein Unterschied zu heute? Damals gab es weder Öko-Prämien noch einen Umstellungsplan. Man hat sich mit zwei, drei Betrieben aus Hessen überlegt, etwas anders zu machen und sich intensiver ausgetauscht als vielleicht heute.

Wer war Doktor Müller?

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gründete der Agrarpolitiker Dr. Hans Müller die Bauernheimatbewegung in der Schweiz. Die Landwirtschaft befand sich zu jenem Zeitpunkt im Umbruch und zwar weg von der traditionellen hin zu einer chemischen und von der Industrie abhängigen Wirtschaftsweise.
Als Gegenpol mit möglichst geschlossenen Betriebskreisläufen entwickelte er zusammen mit seiner Frau Maria und dem deutschen Arzt Dr. Hans Peter Rusch in den folgenden Jahren die Grundlagen des organisch-biologischen Landbaus. Nach einem Vortrag von Dr. Rusch gründen im Jahr 1971 zwölf Frauen und Männer den "bio gemüse e.V.", woraus später Bioland wurde.


Gita hat den Betrieb 2004 übernommen. „Viele wollen dabei alles neu machen. Ich fand es aber gut, wie es läuft und wollte gar nichts ändern“, sagt sie. Vor allem die Hühner haben es ihr angetan. Während es unter ihren Großeltern drei Ställe für 8.000 Legehennen gab, waren es mit dem Wechsel zu Bioland noch drei Mal 800 Tiere. 2005 musste ein Grünauslauf für die Hühner her, so wollten es die Richtlinien. „Das war einschneidend. Deshalb mussten wir einen Stall aufgeben“, erklärt Gita. Es waren dann weniger Hühner in zwei Ställen. 2012 wurden sie so umgebaut, dass wieder genauso viele Tiere hineinpassten - 2.230 um genau zu sein.

Gita führt den Betrieb seit 2004 mit Gelassenheit und Weitblick

 

Nicht nur in der Hühnerhaltung, sondern auch generell gibt und gab es viele Veränderungen und Herausforderungen im Laufe der Zeit. „Wir sind so viele bei Bioland. Da kann man sich nicht mehr darauf verlassen, dass alle in die gleiche Richtung denken“, sagt Gita. Treffen am Küchentisch und ein enger Austausch sind daher mittlerweile schwierig.

Trotzdem sei es ganz wichtig, dass die Gemeinschaft praktiziert wird. Zum Beispiel in Gruppentreffen oder Fachseminaren. „Ich habe die Sorge, dass der Gedanke, warum der Verband gegründet wurde oder man die Dinge anders machen muss als die anderen, irgendwann abhandenkommt“, gesteht die Bioland-Landwirtin.

Im Großen und Ganzen habe sich ihr Betrieb aber nicht so stark verändert, meint Gita. Doch besser könne man es immer machen: klimafreundlicher oder artenreicher beispielsweise. Für die Zukunft ist es beruhigend zu wissen, dass bereits die nächste Generation bereitsteht. Gitas älteste Tochter freut sich schon jetzt irgendwann mal in die Fußstapfen ihrer Vorfahren zu treten: „Ich helfe immer mehr bei den Hühnern mit und frage immer viel. Also, eigentlich kann ich mir nichts Schöneres vorstellen.“

 

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