Tausende Menschen demonstrierten in München für den Erhalt der Artenvielfalt (Foto: Georg Kurz)

Gott mit dir, du Land der Bienen!

Das Volksbegehren Artenvielfalt in Bayern und seine Folgen

30.04.2019

Ausgerechnet Bayern wird in Deutschland zum Vorreiter in Sachen Artenschutz – dank eines Volksbegehrens mit enormem Erfolg. Das kam plötzlich und doch nicht ganz überraschend.

Von Dominik Baur

Es ist kaum drei Stunden her, dass der Runde Tisch zum Arten- und Naturschutz in der bayerischen Staatskanzlei zum dritten und letzten Mal getagt hat, da steht Markus Söder am Straßenrand. Es ist ein Freitagnachmittag in Mittelfranken, bei ihm ist sein Verkehrsminister Hans Reichhart, gemeinsam eröffnen sie an der B14 öffentlichkeitswirksam den ersten "Bienen-Highway". Die hippe Bezeichnung gilt einem Pilotprojekt, zwischen Landstraßen und Radwegen werden dabei Blühstreifen angesät. Bienen, Hummeln, Schmetterlinge und Co. sollen hier Unterschlupf und Nahrung finden, die Streifen sollen zudem zur Vernetzung verschiedener Lebensräume dienen.

Es ist keine Frage: Der bayerische Ministerpräsident hat es verstanden, das Volksbegehren zur Artenvielfalt, das ja letztlich auch ein Angriff des bayerischen Wahlvolks auf die Agrarpolitik der Landesregierung war, zu einer Imagekampagne für sich selbst umzumünzen. Und das in einer Geschwindigkeit, bei der ihm nicht mehr jeder folgen kann.

Umzug der Artenvielfalt auf dem Münchner Marienplatz (Foto: Katharina Heuberger)

 

Denn eigentlich wäre die naheliegende Deutung der Geschehnisse ja doch eine andere gewesen - nämlich die, dass Söders CSU hier eine deutliche Niederlage erlitten hat. Schließlich war es das erfolgreichste Volksbegehren in der bayerischen Geschichte: 1,75 Millionen Bayern haben es unterzeichnet und sich damit für einen Politikwechsel in Sachen Artenschutz ausgesprochen. Ein Votum, das so deutlich war, dass die Landtagsmehrheit von CSU und Freien Wählern nicht umhin kam, ihm zu folgen. Schon Anfang April entschied die Koalition, den Gesetzentwurf des Volksbegehrens im Landtag anzunehmen, ihn lediglich durch weitere Maßnahmen zu flankieren.

 

Überhaupt ist es fast schon befremdlich, wie freundlich neuerdings alle mit- und übereinander reden. "Das ist ein ganz neuer Umgang miteinander", sagt etwa Norbert Schäffer, der Vorsitzende des Landesbunds für Vogelschutz (LBV). Und der Präsident des Bayerischen Bauernverbands, Walter Heidl, spricht von langen, sachlichen Diskussionen, in denen es gelungen sei, Unsicherheiten weitgehend auszuräumen.

In der Tat bestätigte sich nach der letzten Zusammenkunft, dass die zentralen Streitpunkte zwischen den verschiedenen Lagern mittlerweile ausgeräumt sind, man sich auf gemeinsame Empfehlungen an die Politik einigen konnte. Im Landtag sollen sie nun in den Gesetzgebungsprozess einfließen. Einer der Streitpunkte war beispielsweise der Zeitpunkt für das Walzen von Wiesen gewesen. Die Initiatoren des Volksbegehrens wollten dies künftig nur bis zum 15. März erlauben. Da zu diesem Stichtag mancherorts durchaus noch Schnee liegen kann, hat man sich nun auf eine flexiblere regionale Handhabung geeinigt.

Zitat aus einer Studie des WWF

 

Kern der neuen Gesetzgebung ist nun aber die von den Initiatoren des Volksbegehrens vorgelegte Reform des Naturschutzgesetzes. Dieses sieht etwa die Schaffung eines Biotopverbundes, den Erhalt von Hecken, Bäumen und kleinen Gewässern in der Landwirtschaft, blühende Uferstreifen an allen Bächen, die Umwandlung von zehn Prozent aller Wiesen in Blühwiesen, und die Aufnahme des Naturschutzes in die Ausbildung von Land- und Forstwirten vor. Nicht zuletzt soll der Anteil des ökologischen Landbaus in Bayern bis 2030 auf 30 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche ausgebaut werden. Derzeit sind es noch nicht einmal zehn Prozent.

 

Den Gesetzentwurf und die erste Unterschriftensammlung für das Volksbegehren hat die ÖDP, eine kleine, besonders in Bayern präsente Partei, auf den Weg gebracht; danach wuchs das Bündnis innerhalb weniger Wochen massiv. Die Grünen sowie die Naturschutzverbände LBV und Bund Naturschutz bildeten mit der ÖDP den Kern des Bündnisses, außen herum scharten sich über 170 weitere Partner - von der Bayernpartei bis zur Linken, von der Spardabank bis zu den Methodisten, sogar CSU-Ortsverbände waren mit dabei.

Bild: Imago

Direkte Demokratie in Bayern

So beeindruckend der Erfolg dieses Volksbegehrens ist, ist es keine Seltenheit, dass der Souverän in Bayern selbst die Gesetzgebung in die Hand nimmt. So gab es seit Ende der sechziger Jahre 21 Volksbegehren im Freistaat, von denen immerhin fünf erfolgreich ausgingen. Der Senat, eine zweite Parlamentskammer in Bayern, wurde auf diese Weise abgeschafft, ebenso wie die Studiengebühren. Gerade die ÖDP hat sich hier als sehr erfolgreich hervorgetan. Sowohl die Abschaffung des Senats als auch der Nichtraucherschutz geht auf sie zurück. Auch auf kommunaler Ebene wird die direkte Demokratie über den Bürgerentscheid intensiv gelebt. Dieser wurde 1995 eingeführt – per Volksentscheid gegen den Willen der CSU.

Auslöser für die Initiative waren verschiedene wissenschaftliche Untersuchungen, etwa die sogenannte Krefeld-Studie. Diese hatte Ende 2017 belegt, dass die Masse der Fluginsekten in Deutschland über 27 Jahre hinweg um 75 Prozent zurückgegangen ist. Gern zitiert wird auch eine Studie des WWF, wonach wir gerade das „größte Artensterben seit dem Verschwinden der Dinosaurier“ erleben. Agnes Becker, stellvertretende ÖDP-Chefin und Beauftragte des Volksbegehrens, ist überzeugt, dass das neue Naturschutzgesetz zumindest den Status quo halten, vielleicht sogar zu einer Verbesserung der Situation führen kann.

Josef Braun dagegen will sich von der allgemeinen Euphorie nicht ganz so hinreißen lassen. Der 59-Jährige ist Landwirt in Freising, nördlich von München. 58 Hektar hat er dort - Kühe, Schweine, Hühner, Kleegras, Getreide, Kartoffeln ... Seit 30 Jahren schon ist Braun bei Bioland, engagiert sich im Präsidium und im Landesvorstand. "Jetzt kommt es drauf an, was wirklich umgesetzt wird", sagt der Bauer. Wenn es nach ihm ginge, wären noch viel radikalere Schritte nötig. "Wir brauchen eine völlig andere Agrarpolitik." Naturschutz und Landnutzung dürften nicht getrennt voneinander betrachtet werden. "Wir müssen das Grünland wieder artenreich machen und Vielfalt auf dem Acker zulassen, nicht irgendwelche Streuobstwiesen unter Naturschutz stellen."

"Auch der Ökolandbau muss sich entwickeln"

Braun selbst versucht, diesen Ansatz auf seinem Hof konsequent umzusetzen. So baut er artenreiches Kleegras an, das das ganze Jahr blühende Flächen ermöglicht, auf seinen Äckern darf zwischen Getreide und Kartoffeln auch Unkraut wachsen. Außerdem vermehrt und verkauft er Wiesenblumensaatgut, und in den letzten zehn Jahren hat er 50.000 Bäume gepflanzt - als Hecke rund um seine Wiesen und Äcker. Aber auch der Ökolandbau müsse sich noch weiterentwickeln, fordert Braun. "Wir stehen noch ganz am Anfang. Das reicht noch lange nicht, um unsere Probleme zu lösen."

Einen Meilenstein sieht er dennoch in dem Volksbegehren - weil es deutlich gemacht habe, dass Artenschutz nicht mehr nur ein paar Naturschützer interessiert, sondern ein breites gesellschaftspolitisches Thema ist. "Die Politik kann sich nicht mehr wegducken."

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