Altgrasstreifen bieten Nahrung und Singwarten für seltene Vögel, hier das Braunkehlchen (Foto: Sven Büchner)

Unordnung für die Vielfalt

Warum Herr Mautschke so ungern aufräumt

15.10.2018

Gut Krauscha im östlichen Sachsen beherbergt eine außerordentliche Artenvielfalt. Und das, weil in so mancher Ecke die Unordnung herrscht.

Von Annegret Grafen

Wenn Hans Joachim Mautschke beim Mähen ein Schwarzkehlchen entdeckt, lässt er zwei oder drei Streifen Gras in der Wiese stehen. Das alte Gras wird später geholt, "wir brauchen für unsere Mutterkühe kein Qualitätsheu", meint der Landwirt. Die Altgrasstreifen, die er regelmäßig auf seinem Grünland anlegt, sind ein Paradies für Heuschrecken und andere Insekten - und damit ein gedeckter Tisch für Vögel. Auch Mäuse tummeln sich hier, normalerweise nicht so beliebt, aber "wovon sollen Storch und Milan sonst leben?", fragt Mautschke.

Weide
Altgrasstreifen bleiben stehen (Foto: Sven Büchner)

 

Der Bioland-Landwirt auf Gut Krauscha im östlichsten Sachsen hat seinen 390 Hektar großen Hof dem Naturschutz gewidmet, so steht es auf der Homepage. Und dafür arbeiten er und sein Team konsequent. Das geht mit der hohen Kulturartenvielfalt los. Neben Getreide, Eiweißpflanzen, die Stickstoff binden, und Kleegras baut Mautschke Buchweizen, Leindotter, Koriander und vieles mehr an. Auch darüber hinaus sorgt der Landwirt für Vielfalt. Zum Beispiel, indem er - je nach Standort - am Ackerrand etwas dünner sät, um für lichtere Bestände zu sorgen. Feldränder bleiben stehen, Hecken und Feldgehölze werden gepflanzt und gepflegt. Dazu legt er, teilweise gefördert durch das sächsische Agrarumweltprogramm, Blühstreifen und -brachen an. "Es geht immer um die unaufgeräumten Ecken", sagt er.

 

Vieles, was gelingt, ist ein Zufallsprodukt, meint Mautschke. Aber was der Artenvielfalt dient, verfolgt er weiter. Zum Beispiel die Sache mit der Kante, die an der letzten Pflugfurche entsteht. Der Ordnung halber könnte man sie glattziehen. Doch in der scharf geschnittenen, 20 Zentimeter hohen Lehmwand graben Wildbienen ihre Nester. Seitdem wird keine Pflugkante mehr beseitigt. Einfache Maßnahme, zufällig beobachtet, große Wirkung.

Klein ist nicht immer besser

Das Bundesamt für Naturschutz hat 2001 untersucht, warum die Agrarlandschaften der Ex-DDR so viel artenreicher waren als die im Westen. Sven Büchner, Naturschutzberater auf Gut Krauscha, zitiert sie gern. Denn hier wird eine Binsenwahrheit widerlegt, die da lautet: Kleine Schläge, also die einheitlich bewirtschafteten Abschnitte eines Feldes, sind grundsätzlich besser für den Naturschutz als große. "Was meinen Sie, warum die Großimker mit ihren Völkern nach Brandenburg gehen und nicht nach Bayern?", fragt Büchner. Eben: weil in Brandenburg viel mehr blüht.

Zur Person

Mann auf Weide




Der Naturschutz begleitet Hans Joachim Mautschke, 58 Jahre, seit seiner Jugend. In der DDR war er Mitglied in der damaligen Gesellschaft für Natur und Umwelt. Nach dem Mauerfall wurde er Bio-Landwirt, 2006 hat er Gut Krauscha gekauft. „Ich habe mich hier von Anfang an dafür interessiert, ob die pauschale Behauptung stimmt, dass Bio-Anbau für den Naturschutz besser ist“, sagt er.


Es war nicht nur, dass landwirtschaftlichen Betrieben in der DDR mal der Dünger fehlte oder das Pflanzenschutzmittel zu teuer war. Einen wichtigen Effekt hatte die Schlaggröße selbst, erzählt der Biologe. Ein großer Schlag wurde meist an einem Tag und nach einem Rezept bearbeitet. Eine Standardmaßnahme auf stark wechselnden Böden führt aber zu vielfältigen Ergebnissen. Hier wuchs das Getreide dicht, auf dem trockenen Stück da hinten ist fast gar nichts aufgegangen, hier hat die Unkrautregulierung gewirkt, dort kam sie ein paar Tage zu spät. Daraus entsteht Vielfalt, die Wildflora und -fauna zugutekommt.

Seltene Arten haben hier ein Zuhause

Gut Krauscha ist ein Quell der Begeisterung für Naturkundler. Seit Mautschke vor zwölf Jahren mit der Bewirtschaftung begann, kommt eine Botanikerin auf die Felder, um seltene Pflanzenarten zu erfassen und zu kartieren. Sie, ein Ornithologe und ein Insektenspezialist arbeiten in verschiedenen Projekten amtlich und ehrenamtlich auf den Flächen des Betriebs.

 

Die offene Pflugkante dient Wildbienen (Foto: Annegret Grafen)

 

 

Der seltene Neuntöter (Foto: Sven Büchner)

 

 

Landwirt Mautschke (rechts) und Naturschutzberater Büchner (Foto: Annegret Grafen)

 

Hier gibt es Rotmilane, Neuntöter und Ortolane, Rebhühner und Braunkehlchen, viele seltene und gefährdete Vogelarten. 60 Wildbienenarten. Dazu eine unglaubliche Fülle von Ackerwildkräutern, darunter sehr seltene wie das Ackerquellkraut oder die Kornrade und eines mit dem hübschen Namen "Gezähntes Rapünzchen". Die Botanikerin hat auf Gut Krauscha einige Wildkräuter gefunden, die in Sachsen als verschollen galten. "Für das, was an Pflanzen da ist, kann ich eigentlich nichts", meint der Landwirt. Zudem wurden die Flächen seit 1991 ökologisch bewirtschaftet. Er will den Reichtum aber erhalten und fördern und nennt es den "verzweifelten Versuch, etwas von dem zurückzuholen, was verloren gegangen ist".

Deshalb kommt bereits seit 2010 Naturschutzberater Sven Büchner auf den Hof. Der Landwirt und er wenden sich - auch aus der guten Erfahrung mit dem Betriebsplan Natur - strikt gegen Standardrezepte zum Artenschutz: "Pauschale Mähtermine oder standardisierte Blühstreifen taugen nicht viel." Stattdessen braucht es ein betriebsindividuelles Entwicklungskonzept. "Wir müssen den Betriebsleiter bei seinen Interessen abholen", meint Büchner. Und wenn der Plan fertig ist, muss die Beratung weitergehen, sollte der Landwirt die Chance haben, gemeinsam mit Fachleuten zu beobachten, wie seine Maßnahmen wirken. Denn zu entdecken, dass sich Rebhuhn und Kornrade auf den eigenen Flächen wohlfühlen, motiviert, immer noch ein bisschen mehr zu tun.

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