Der Apfel ist das beliebteste Obst der Deutschen (Foto: Imago)

Supermodels im Supermarkt

Warum es die Vielfalt im Apfelregal braucht

25.09.2018

Süß, fruchtig und fest muss er sein - der perfekte Apfel. Das meint zumindest der Handel und bietet nur eine Handvoll Sorten an. Und diese stammen zumeist von einer Ursprungssorte ab: dem Golden Delicious. Darunter leidet die genetische Vielfalt, und der Pestizideinsatz steigt.

Von Marta Fröhlich

Braeburn, Pink Lady, Granny Smith, vielleicht noch Boskop oder Gala: Die Apfelauswahl in Supermärkten ist beschränkt. Nur noch etwa 10 bis 15 wirtschaftlich relevante Sorten finden sich in den Regalen, die meisten davon Neuzüchtungen oder weitgereist aus Übersee. Obstkundler gehen davon aus, dass es im 19. Jahrhundert 2000 bis 3000 Apfelsorten im deutschsprachigen Raum gab - mindestens. Wo sind sie alle hin?

Der beliebte "Pink Lady" ist ein Clubapfel: Landwirte müssen für seinen Anbau hohe Lizenzen zahlen (Foto: Imago)

 

Hans-Joachim Bannier, Pomologe und führender Experte für alte Apfelsorten, sieht die Ursache vor allem im Handel. "Der Handel hat eigene Bedürfnisse. Er will haltbares Obst - und das von Januar bis Dezember", sagt Bannier. Auch beschränkten sich die meisten Händler auf eine Geschmacksrichtung, die bei der Allgemeinheit ankommt: süß, saftig, knackig. "So kann man schon sagen, dass der Verbraucher umerzogen wurde", formuliert es der Experte. Und der Verbraucher ist wählerisch. Umfragen zeigen, dass Kunden am liebsten zu einem makellosen sattroten Schönling greifen. Da können manche alten Sorten - blass, klein und krumm - nicht mithalten. Optik entscheidet über den Kauf, der Geschmack ist zweitrangig.

 

Dabei erfährt Bannier tagtäglich im eigenen Hofladen, dass seine Kunden offen sind für andere Geschmäcker. Sie kommen mit Früchten aus Omas Garten auf den Hof, wollen den Geschmack ihrer Kindheit wiederaufleben lassen und bitten Bannier, der Mitglied im Pomologen-Verein ist, Omas Apfelsorte zu bestimmen. Ob Sestermüher Zitronenapfel, Jakob Fischer oder der Finkenwerder Prinz, kaum eine alte Sorte, die der 61-Jährige noch nicht probiert hat. In seinem Obstarboretum - einer lebendigen Sammlung verschiedener Gehölze - in der Nähe von Bielefeld finden sich mehr als 500 verschiedene Sorten, darunter jahrhundertealte. Sie gedeihen unter rein ökologischen Bedingungen. In seiner Züchtungs- und Pflegearbeit beobachtet Bannier immer wieder, dass moderne Äpfel im Gegensatz zu manch alter Sorte kaum noch ohne Spritzmittel auskommen. "Das hat auch was mit der immer kleiner werdenden genetischen Vielfalt innerhalb der Sorten zu tun", erklärt er.

Zur Person

Foto: Bannier





Hans-Joachim Bannier (61) ist Autor, Pomologe und Mitglied im Pomologen-Verein. In seinem 1995 angelegten Obstarboretum in Bielefeld mit über 500 Kern- und Steinobstsorten testet er die Streuobsteignung alter und moderner Obstsorten. Er forscht zur Geschichte der Apfelzüchtung der letzten 100 Jahre.


Noch um 1900 wurde in Deutschland mit vielen verschiedenen Sorten gezüchtet. 1920 verstärkten im Zuge der Intensivierung der Landwirtschaft die Fachinstitute ihre Züchtungsbemühungen und nahmen als Ziel einen Apfelalleskönner in den Blick: einen robusten Massenträger mit viel Fruchtfleisch, der dazu noch gut schmeckt. Ins Zentrum der Züchtung rückten Sorten wie Cox Orange, Macintosh, James Grieve, und Jonathan, der heute noch in der beliebten Sorte Jonagold steckt. Jonagold gibt aber auch einen Hinweis auf den darin eingekreuzten größten Hoffnungsträger der damaligen Züchtungsszene: Golden Delicious, vom Pomologen und Fernsehapfelpapst Eckart Brandt ketzerisch als züchterischer Sündenfall bezeichnet.

Der Golden Delicious ist anfällig für Schorf (Foto: Imago)

 

"Der Vorteil beim Golden Delicious ist: Der blüht immer, auch an einjährigem Holz. Außerdem hat er einen langen Stiel und lässt sich dadurch gut ernten, und die harte Frucht bekommt nicht so schnell Druckstellen. Der perfekte Zuchtapfel, dachte man", berichtet Bannier. Das Problem: Man muss ihn spritzen, sonst zeigt er schnell Schorf, eine typische moderne Apfelkrankheit. Die Dreißigerjahre waren aber auch eine Hochzeit des Pflanzenschutzes. Man spritzte ausgiebig, ohne die Folgen zu kennen, der Apfel gedieh immer. Und die alten Sorten wurden aufs Abstellgleis geschoben.

Heute findet man in rund der Hälfte der weltweit untersuchten modernen Apfelzüchtungen seit 1920 Spuren des Golden Delicious. So eine genetische Verengung ist laut Experten immer problematisch. Denn mit den Stärken des Golden Delicious wird auch dessen Anfälligkeit für Krankheiten wie Schorf und Schädlingsbefall weitervererbt, was den Verzicht auf Pestizide deutlich erschwert. Dies führt laut Bannier dazu, dass die Obstbauern in einer Art Korsett gefangen seien. "Unter dem Diktat des Großhandels gibt es heute keinen pestizidfreien Obstbau in breiter Fläche", erklärt er. Allein die Direktvermarkter wie Hofläden im Ökolandbau haben noch Möglichkeiten, aus dieser Zwickmühle herauszukommen.

 

Dabei sind die sogenannten alten Apfelsorten auch nicht die Lösung aller Probleme. Viele von ihnen passen nicht in unsere Zeit. Denn heute essen wir unsere Äpfel am liebsten roh, als Tafelapfel oder als Zwischenmahlzeit. Dafür ist so manche alte Sorte ungeeignet, sie sind nicht so süß, saftig und fest, wie es sich die Verbraucher wünschen. Außerdem sind viele Sorten regional sehr stark angepasst. Was für die Verfechter alter Apfelsorten eine große Stärke ist, ist für die moderne Landwirtschaft eher hinderlich. Denn hier geht es um Effizienz und Masse, weniger um romantische knorrige Apfelbäume auf Streuobstwiesen.
Doch für Bannier steht fest: Wir müssen raus aus der züchterischen Spirale, die sich um den anfälligen Golden Delicious dreht. Er plädiert für einen Paradigmenwechsel: Weg von den fünf "Stammeltern" der modernen Apfelzucht, weg vom Golden Delicious - hin zu einer Mischung aus alten resistenten Sorten und vorhandenen gesunden Züchtungen wie zum Beispiel dem Kulturapfel Karmijn de Sonnaville oder dem Topaz. Dieser ist vor allem im Bioanbau beliebt, da er aufgrund seiner Krankheitsresistenz nicht oder kaum gespritzt werden muss. "Nur wenn wir die Kehrtwende wagen, können wir die genetische Vielfalt wieder in die Apfelzüchtung bringen und auf Pestizide verzichten."

Unter vielen Sorten finden auch Allergiker ihren Apfel (Foto: Fröhlich)

Allergiker-Äpfel

Viele alte Apfelsorten sind gut für Apfelallergiker geeignet. Sie enthalten mehr Polyphenol. Das kann Allergene im Körper binden, sodass es zu keiner allergischen Reaktion kommt. Bei vielen modernen Sorten wurde das Polyphenol herausgezüchtet, weil es den Apfel beim Anschnitt braun werden lässt.

Eine Liste mit für Allergiker eher geeigneten Sorten hat der BUND Lembo zusammengestellt.

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