Dorothee Hochgürtel hat neben ihren Streuobstwiesen auch Ziegen und Schafe (Fotos: Meike Fredrich)

Old but gold

Knackige Kerlchen und süße Früchtchen auf der Streuobstwiese

26.10.2020

Prinz Albrecht von Preußen trifft Kaiser Wilhelm. Wo geht denn sowas? Ganz ohne Zeitreisemaschine funktioniert diese adelige – oder eher leckere – Zusammenkunft auf dem Streuobsthof von Dorothee Hochgürtel. Mit dabei: rund 130 weitere Apfelsorten.

Von Meike Fredrich

Der Himmel ist grau an diesem Oktobertag, doch die letzten Äpfel an den Bäumen leuchten dadurch umso mehr. Dorothee Hochgürtel schlendert über eine ihrer vier Streuobstwiesen, pflückt einen Apfel und beißt hinein: „Die Gelben schmecken mir am besten. Das hier ist ein Schöner aus Nordhausen.“ 129 weitere, eher unbekannte und alte Apfelsorten wachsen bei ihr auf einer Gesamtfläche von 3,5 Hektar an 350 Bäumen. Hier in ihrem Sortengarten wird die Vielfalt sichtbar.

Über Streuobst

Typisch: viele verschiedene und alte Sorten




Das Hauptmerkmal von Streuobst ist der 1,80 Meter hohe Stamm. Verstreut stehen die Bäume nicht, sondern wachsen normalerweise in Reihen. Durch die tiefen Wurzeln ist in der Regel keine zusätzliche Bewässerung nötig.

Frost-Probleme gibt es dank der weit oben gelegenen Kronen ebenfalls seltener. Streuobstanlagen haben einen hohen ökologischen Wert, werden 80 Jahre oder älter und weisen von der Baumkrone bis zur Wurzel einen hohen Artenreichtum auf.


Unförmige, kugelige, große, kleine, rote, gelbe und roséfarbene Äpfel hängen an den Bäumen. Auch die lassen sich gut unterscheiden: von schmalen und breiten Stämmen über kleine und große Kronen bis hin zu noch voll tragenden und bereits geernteten Bäumen. „Diese Vielfalt begeistert mich, und ich möchte sie erhalten. Teilweise kenne ich die Sorten nicht einmal“, sagt die ehemalige Apothekerin. „Ich betreibe Landwirtschaft durch Beobachtung und Weiterbildung.“ Eine klassische Ausbildung hat die Quereinsteigerin nicht. Wann die unbekannten Sorten reif sind, weiß sie durch ihre Erfahrung, den Austausch mit Bioland-Kollegen und die jährlichen Eintragungen in ein Tagebuch. Hier hält Hochgürtel seit 1996 alle relevanten Informationen einzeln fest, auch die Wetterdaten. Gerade bei der Wetterprognose hat sie aber auch tierische Unterstützung: von ihren Ziegen und Schafen.

 

Die Heidschnucken hören alle auf den Namen "Schnucki" und sind wirklich schnuckelige Resteverwerter

 

 

Auf verschiedenen Wiesen leben und grasen die Tiere abwechselnd

 

 

Auch die natürliche Artenvielfalt ist auf den Streuobstwiesen sichtbar

 

 

Insgesamt drei Imker und ihre Bienenvölker freuen sich über die leckere und natürliche Umgebung

 

Während sie Bella und Söckchen einen herab gefallenen Apfel zu fressen gibt, erzählt sie: „Durch das veränderte Klima haben die Ziegen andere Deckzeiten entwickelt. Heute weiß ich: Wenn die Ziegen gedeckt werden, herrscht in fünf Monaten – also wenn das Lamm geboren wird - schönes Wetter.“ Doch die Heidschnucken und Ziegen dienen nicht nur als Wetterfrösche, sondern erfüllen hauptsächlich andere Funktionen in der Kreislaufwirtschaft des Hofes. Sie futtern madiges Obst, düngen mit ihrem Stallmist die Bäume und dienen als biologischer Pflanzenschutz. So hat sich zum Beispiel die schädliche Raupe des Apfelwicklers, ein Schmetterling, deutlich reduziert. „Meine Tiere sind auch die perfekten Verwerter – Obst wegschmeißen muss ich nie, und das Heu der Wiesen kann ich gut als Futter nutzen“, freut sich die Landwirtin und lässt den Blick ins Umland schweifen.

Die Gemeinde Wachtberg in der Nähe von Bonn war früher voll mit Streuobstwiesen. Nahezu jedes Dorf war von einem Ring aus Apfelbäumen umgeben, bevor sie in den 50er- bis 70er-Jahren für Plantagen oder Siedlungen gerodet wurden. Dorothee Hochgürtels Augen bleiben an einem Feld in der Ferne hängen, das mit Folie bedeckt ist. „Wir befinden uns hier im deutschen Almería. Obstplantagen prägen das Landschaftsbild wie in Südspanien", sagt sie lächelnd und fügt hinzu: „Ich mag es eher natürlich." Beweise dafür muss man nicht lange suchen. Selbst jetzt im Oktober blühen noch vereinzelte Blumen und die letzten Bienen von insgesamt drei Imkern krabbeln über ihre Kisten. Im Frühjahr summen und brummen hier etliche Insekten. Neben den Apfelbäumen gibt es auch Kirsch-, Pflaumen-, Birnen- und Walnussbäume. Hecken statt Zäune säumen die Grundstücke, dienen Tieren als Versteck und bieten Nistmöglichkeiten für Vögel. Biodiversität at its best!

Im Hofladen können Allergiker Äpfel probieren und testen, ob sie die Sorte vertragen. Denn: Reaktionen zeigen sich meist kurz nach dem Verzehr

 

In der großen Holzscheune, in die ein paar Sonnenstrahlen einfallen, fühlt sich eine andere Hofbewohnerin sichtlich wohl: Katze Lina schlängelt sich an Traktoren, bereits gepflückten Äpfeln, Saftflaschen und einem Sammelsurium aus alten landwirtschaftlichen Geräten vorbei. Die Vorratshaltung spielt auf dem Streuobst-Hof eine große Rolle, da die Erträge naturgemäß im Zwei-Jahres-Rhythmus stark schwanken. So kommt es vor, dass die Bäume ein Jahr übervoll mit Früchten hängen, im Folgejahr aber praktisch keinen Ertrag bringen.

„Da muss man dann schon gut planen. Aktuell haben wir viel geerntet und können den Vorrat an Saftflaschen aufstocken. Das nächste Jahr wird dann eher ruhig, und ich kann mir Gedanken über neue Projekte machen“, erzählt Hochgürtel und schaut auf die vollen Holzkisten, die überall verteilt in der Scheune stehen. Viele Sorten, wie zum Beispiel der Rheinische Bohnapfel, können lang gelagert werden - teilweise bis Mai. Zudem sind sie dann auch gutes Winterfutter, eignen sich zum Backen oder für Apfelringe. Den Ertrags-Rekord hält übrigens ein 50 Jahre alter Schöner aus Nordhausen mit 500 Kilogramm Äpfeln in nur einem Jahr.

 

"Ich mache nur das, was kein anderer macht."

Bereit für eine Streicheleinheit nähert sich die Mäusebeauftragte des Hofes dem Verkaufsstand neben dem großen Scheunentor. Hier präsentiert Dorothee Hochgürtel ihre Ware: „Für mich stand schon immer fest: Ich mache nur das, was kein anderer macht. Anfangs wurde ich dafür viel belächelt, heute kommen meine Nischenprodukte aber gut an.“ Die unterschiedlichen Geschmacksrichtungen der alten Sorten kommen gut an. Ein weiteres Plus: Auch für Allergiker eignen sich viele Sorten ideal zum direkten Verzehr. Wegen eines höheren Polyphenol-Gehalts und einer anderen Eiweißzusammensetzung sind sie besser verträglich. Bei vielen modernen Sorten wurde das Polyphenol herausgezüchtet, weil es den Apfel beim Anschnitt braun werden lässt. Die Werte unterscheiden sich immens. Ein Beispiel: Die Sorte Gala enthält nur 338 Milligramm pro Kilogramm, während es beim Finkenwerder Herbstprinz 1.592 Milligramm pro Kilogramm sind. Neben dem Tafelobst stehen Apfelsäfte, -brände und -ringe zum Verkauf. „Ohne eine ordentliche Öffentlichkeitsarbeit geht das allerdings nicht. Ausführliche Etiketten klären auf, bei Hofführungen vermitteln wir unser Wissen, und auch die direkten Vermarktungswege sind entscheidend. Auf Märkten haben wir schon viele neue Kunden gewonnen,“ erzählt Hochgürtel, während sie Katze Lina hinter den Ohren krault. „Gerade in Zeiten von Corona merkt man, dass die Verbraucher Interesse an regionalen und saisonalen Produkten haben. Das ist wirklich super!“

 

Katze Lina und ihr Sohn Jack sind zuverlässige Mäusejäger auf dem Hof

 

 

Die Trockenheit im Sommer hat ihre Spuren hinterlassen

 

 

Auch ein Astbruch ließ sich nicht vermeiden. Die Äpfel wachsen dennoch weiter, weil die Verbindung zum Stamm noch besteht

 

 

Nur eine von 130 Sorten: Die Rote Sternrenette zeichnet sich durch eine rote Schale und sternförmige Tupfen aus

 

Während sie die bunten Äpfel sortiert, poliert und einladend anrichtet, erzählt sie von weiteren kreativen Ideen, wie Schnittkursen für Frauen oder einem Stand auf einem abendlichen Markt. Das Gewusel zwischen den Ständen und die lockere Atmosphäre fehlen zwar durch die aktuelle Lage, aber interessante Gespräche gibt es trotzdem – oder auch ungewöhnliche Wünsche. Als einer älteren Dame der sortenreine Saft aus dem eingangs erwähnten Kaiser Wilhelm nicht so gut ins Konzept passt, fragt sie spaßig nach einem Produkt für Sozialisten. Gut, dass Dorothee Hochgürtel so viele verschiedene Sorten in ihrem Sortiment hat und prompt die Rote Sternrenette hervorzaubert. Jetzt fehlt nur noch ein Saft für die Grünen.

Schnitt ist das A & O

Die gelernte Apothekerin Dorothee Hochgürtel arbeitet mittlerweile nur noch für ihren Hof





„Der Schnitt ist das wichtigste Mittel, um die Bäume vital zu halten und gleichzeitig ist er der beste Pflanzenschutz“, findet Hochgürtel. Durch das Ausdünnen oder aber auch Auspflücken verhindert die Landwirtin, dass Äste abbrechen. Hier kommen Tipps zum Schneiden:
 

  • Nur bei trockenem Wetter
  • Wenn viel Schnitt erforderlich: auf mehrere Jahre verteilen
  • Steinobst: in der Erntezeit
  • Äpfel: ab Januar
  • Niemals: Kugelschnitt
    • Besser: Krone luftig halten
    • Von oben anfangen: Luft und Wasser muss durchdringen können
  • Bäume wegen der Trockenheit kompakter halten
  • Abgetragenes Holz entfernen

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