An der Milch scheiden sich die Geister (Foto: imago)

Melken auf Teufel komm raus

Wenn der Markt den Milchpreis bestimmt

04.04.2017

Das Auf und Ab der konventionellen Milchpreise ist ein Dauerproblem. 2016 rutschte der Markt in eine extreme Krise. Das brachte einerseits 600 bis 700 Landwirte dazu, auf Biomilch umzustellen, andererseits verlor Deutschland auch tausende Milchbauern. Ein Blick zurück ins Krisenjahr.

Von Julia Romlewski

Vielen Milchbauern ist die Luft ausgegangen: Rund 4000 haben sich 2016 nach einer zweijährigen Durststrecke von ihren Kühen getrennt. Deutschland verliert seit Jahren Milchviehbetriebe, doch 2016 war das Höfesterben schlimmer als in den Vorjahren. Nicht alle gaben aus demselben Grund auf, aber viele: wegen der Krise auf dem konventionellen Milchmarkt. Zeitweise rutschte der Erzeugerpreis, also das, was die Bauern im Durchschnitt von den Molkereien ausbezahlt bekommen, vereinzelt unter 20 Cent pro Kilogramm - Bauern und Molkereien rechnen in Kilogramm und nicht in Liter. 

 

Kurz vor der Krise schien die Welt gerade halbwegs in Ordnung. Der konventionelle Milchpreis klettert 2012 und 2013 im Durchschnitt vorübergehend auf 37 Cent. Doch dann geht es richtig bergab. 2015 gibt der Milchpreis um 25 Prozent nach und rutscht unter die 30-Cent-Marke. Im Sommer 2016 zahlten die Molkereien den Bauern dann im Schnitt nur noch knapp 27 Cent pro Kilogramm. Eine Katastrophe. Denn damit kann ein Milchbauer nicht einmal die laufenden Rechnungen für Futter, Medikamente oder Personal begleichen, er zahlt also drauf. Um in den schwarzen Zahlen zu bleiben, braucht er mindestens 35 bis 40 Cent, heißt es. Ein Biobauer braucht noch mehr.

 

Die jüngste Krise fällt mit dem Ende der EU-Milchquote zusammen, die nach über 30 Jahren im April 2015 ersatzlos weggefallen ist. Seitdem darf jeder Bauer in der EU wieder so viel melken, wie er mag. Ohne Strafe zahlen zu müssen. Prompt lieferten Deutschlands Milchbauern hunderttausend Tonnen Milch mehr als im Vorjahr.

Auf ein Hoch folgte das Tief

Doch schon vor dem Quotenende wurde viel zu viel Milch produziert - trotz der Strafen für Überproduktion. 2014 war sogar ein Rekordjahr mit einem Milchplus von 3,5 Prozent in Deutschland. Die Bauern melkten um die Wette, nicht nur in Deutschland. In ganz Europa. Strafen kalkulierte man mit ein. "Die Milcherzeugung in Deutschland wurde seit 2008 um 14 Prozent gesteigert", erklärt das Bundeslandwirtschaftsministerium. Weil die Preise nach der letzten Milchkrise 2009 wieder anzogen und die Bauern mit Blick auf das Ende der Mengenregulierung schon mal Kühe dazukauften.

 

Eine Zeitlang ging das gut: Bauern und Molkereien in der EU vertrauten darauf, Überschüsse irgendwie auf dem Weltmarkt loszuwerden. In Form von Käse und Milchpulver. Doch 2015 kam dann der Einbruch: Chinesen und Araber kauften nicht wie erhofft und Russland verlängerte seinen Importstopp für westliche Lebensmittel. "Die deutlichen EU-Mehrmengen konnte der globale Milchmarkt nicht mehr zur Gänze aufnehmen, nicht einmal zu den sehr niedrigen Preisen", sagt Hans Foldenauer vom Bundesverband Deutscher Milchviehhalter. Dass auch die drei anderen großen Milchexporteure USA, Neuseeland und Australien mehr melkten, machte die Sache nicht einfacher.

 

Dazu muss man wissen: Die Bauern in der EU sind inzwischen die weltweit größten Milchproduzenten. Ihr Marktanteil liegt bei 20 Prozent. Bei Käse und Magermilchpulver ist die EU sogar Exportweltmeister. Auch die deutsche Milchbranche hat sich vom Exportgeschäft abhängig gemacht. Gut die Hälfte der deutschen Milch geht ins Ausland - überwiegend in Käseform. Vor allem in die EU, aber eben nicht nur. Sondern auch nach China, in den Nahen Osten oder in die USA. "Deutschland exportiert in knapp hundert Länder. Ohne Export hätten wir nur die Hälfte der Milcherzeuger", behauptet der Milchindustrieverband - die Interessenvertretung der Molkereien und Unternehmer der Milchbranche.

EU-Hilfspakete für die Milchbauern

Zwei staatliche Hilfspakete sollten das Schlimmste abwenden. Insgesamt gibt es 581 Millionen Euro für die deutschen Milchbauern. Auch ihre EU-Kollegen bekommen Geld und Steuererleichterungen. Vorübergehend werden sie auch fürs Nichtmelken belohnt. Wer von Februar bis April diesen Jahres nicht mehr Milch abliefert als im Vorjahr, bekommt rückwirkend für ein Jahr einen Zuschuss. Mindestens 0,36 Cent pro Kilogramm Milch sollen es sein. Knapp 24.000 Landwirte machen nach Auskunft der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung mit. Das sind rund 30 Prozent der deutschen Milchbauern. 2016 - genau ein Jahr nach dem Quotenende - kam außerdem ein neues Gesetz, das vorübergehend das Wettbewerbsrecht aushebelte. Ein halbes Jahr lang konnten Milchbauern untereinander Mengenabsprachen treffen.
Das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Vor 16 Jahren gab es nach Angaben des Bundeslandwirtschaftsministeriums noch doppelt so viele Milchviehbetriebe in Deutschland wie heute. 139.000 waren es damals. Viele Bauern können von den schwankenden Weltmarktpreisen kaum leben. In Krisenzeiten versuchen sie dann noch mehr zu melken, um wenigstens ihr altes Einkommen zu halten. Und produzieren damit noch mehr Milch, die keiner will. Überschüsse, die den Handelsriesen Argumente liefern, die Preise weiter zu drücken. Ein Teufelskreis.

Hunderte Milchbauern wollten bei diesen Spielchen nicht mehr mitmachen. Geschätzt 600 bis 700 entschieden sich 2016 für Bio. Mehr als 200 davon sind zu Bioland gegangen. Denn während die konventionellen Preise in den Keller gingen, blieben die Preise für Biomilch stabil. 48 Cent bekam ein Biomilchbauer 2016 im Schnitt. Rund 21 Cent mehr als sein konventioneller Kollege - so groß war der Unterschied noch nie. Doch auch das Mehr an Biomilch muss Abnehmer finden. Momentan schaut es aber gut aus. Die Nachfrage nach heimischer Biomilch ist immer noch größer als das Angebot, weil nicht nur die klassischen Biokunden immer öfter Biomilch kaufen. Und wenn ein Bauer für seine Milch einen fairen Preis bekommt, muss er auch nicht auf Teufel komm raus melken.

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