Tierhaltung gilt als klimaschädlich. Bioweidehaltung kann jedoch das Klima sogar schützen (Foto: Sonja Herpich/Bioland)

"Land- und Ernährungswirtschaft müssen schnell Emissionen einsparen"

Agrarökonom Lotze-Campen im Interview

09.05.2022

Der Agrarökonom Prof. Hermann Lotze- Campen leitet die Forschungsabteilung „Klima resilienz“ am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). An der Humboldt- Universität zu Berlin ist er Professor für Nachhaltige Landnutzung und Klimawandel. Im Interview zeigt er auf, dass Ökolandbau durchaus eine Lösung für die Klimakrise sein kann – wenn unser Konsum sich ändert.

Von Niklas Wawrzyniak

Der Klimawandel zwingt die Landwirtschaft zu Anpassungen, gleichzeitig muss sie zum Klimaschutz beitragen. Wie optimistisch sind Sie, dass die entscheidende Wendung rechtzeitig gelingt?
Hermann Lotze-Campen: Ich bin grundsätzlich optimistisch. Aber was heißt rechtzeitig? Selbst wenn die ambitionierten Klimaziele, die jetzt gesteckt sind, erreicht werden, ist immer noch Anpassung nötig. Je schneller die Emissionen reduziert werden, umso geringer sind die Auswirkungen, an die wir uns anpassen müssen. Bei der Umsetzung der notwendigen Maßnahmen ist absolut keine Zeit zu verlieren!

Agrarökonom Hermann Lotze-Campen im Interview
Agrarökonom Prof. Hermann Lotze-Campen (Foto: PIK/Karkow)

 

Wie stellen Sie sich eine klimaschonende Land- und Ernährungswirtschaft vor?
Lotze-Campen:
Auf jeden Fall müssen die Emissionen von Lachgas, Methan und CO2 drastisch und weitestgehend reduziert werden. Komplett auf null wird es im Agrar- und Ernährungssektor nicht gehen. Wenn man in Deutschland über CO2 aus der Landbewirtschaftung redet, ist das im Wesentlichen die Reduktion der Bewirtschaftung von Moorböden, die einen erheblichen Anteil an den Emissionen ausmacht. Beim Lachgas sind es im Wesentlichen die Stickstoffüberschüsse im Pflanzenbau, und bei Methan und Lachgas auch die Lagerung von Wirtschaftsdünger. Der ganz große Hebel liegt aber bei der Reduktion der Tierhaltung.

Wie wichtig ist das Schrumpfen der Tierbestände und des Konsums tierischer Lebensmittel für die Klimabilanz der Landwirtschaft?
Lotze-Campen:
Grob gerechnet haben 70 Prozent der landwirtschaftlichen Emissionen mit der Tierhaltung zu tun, einschließlich der Futterproduktion. Man wird nicht substanziell vorankommen, wenn man nicht die Tierhaltung reduziert. Das kann aber nicht nur die Produktionsseite alleine leisten.

 

Solange tierische Produkte nachgefragt werden, werden sie auch produziert. Es müssen also Umstellungen bei der Ernährung induziert werden, daran wird sich dann die Landwirtschaft anpassen. Auch im Ökolandbau gilt es, möglichst vieharme Produktionsverfahren zu nutzen. Mit vielfältigen Fruchtfolgen, Leguminosen, Untersaaten, Zwischenfrüchten etc. gibt es hier viele Möglichkeiten. Das ist sicherlich eine große Herausforderung, aber nur so kriegen wir die Klimabilanz in der Landwirtschaft in den Griff.

Grünland

Foto: Imago

Gut für Kuh und Klima

Wiesen und Weiden haben es in oder vielmehr unter sich: Millionen Tonnen von Kohlendioxid. Der Humus, auf dem die Pflanzen wachsen, speichert riesige Mengen des Treibhausgases im Boden. Wird Grünland zu Ackerfläche, gelangt Kohlenstoff nach und nach mit der Ernte in die Atmosphäre. Allein in Europa werden so zwischen zehn und 40 Millionen Tonnen Kohlenstoff jährlich frei. Der Trick funktioniert zum Glück auch andersherum. Bei der Umwandlung von Ackerfläche in Grünland wird er wieder „eingefangen“ und in den Boden zurückgeführt. Deshalb tut ein Landwirt, der sein Vieh auf die Weide schickt, statt es im Stall mit Soja zu ernähren, nicht nur seinen Kühen einen Gefallen, sondern auch dem Klima.


Und das nicht nur lokal, sondern weltweit.
Lotze-Campen:
Auch wenn wir hier auf Deutschland fokussieren, der Klimawandel ist ein globales Problem. Natürlich müssen wir Maßnahmen in Deutschland ergreifen, und auch in Europa. Wenn sich die Nachfrage hier und weltweit nicht ändert, werden die Probleme nur verlagert. Was in Deutschland und anderen reichen Ländern getan wird, ist sehr wichtig, auch als Beleg dafür, dass eine Transformation möglich ist. Aber beides muss man zusammen denken. Die internationale Kooperation ist bei der Emissionsvermeidung ein wichtiges Zielbild.

Klimaaktivisten sehen Rinder als Methanquellen, die es zu beseitigen gilt. Sind Huhn und Schwein die Tiere der Zukunft?
Lotze-Campen:
Pro Kilogramm Fleisch ist ein Huhn ein effizienterer Futterverwerter, die reine Emissionsbilanz ist niedriger. Daneben muss man betrachten, wie man die natürlichen Ressourcen Grünland und Ackerland nutzt. Das 1,5-Grad-Ziel ist eine sehr große Herausforderung, die nur mit reduziertem Fleischverbrauch und niedrigen Nutztierzahlen zu erreichen ist. Wenn es dann um die Tierwohlfrage geht und welche Art von Fleisch man isst, bringt der Ökolandbau viel mit.

Die planetaren Grenzen sind weit überschritten. Welche Folgekosten entstehen der Gesellschaft dadurch und mit welchen marktwirtschaftlichen Instrumenten könnten wir gegensteuern?
Lotze-Campen:
Verschiedene Studien der Europäischen Umweltagentur und auch der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) zeigen, dass die externen Folgekosten der Landwirtschaft viel größer sind als die Wertschöpfung selbst. Nach ZKL sind es 90 Milliarden Euro Folgekosten gegenüber 21 Milliarden Euro Bruttowertschöpfung der Landwirtschaft. Deswegen ist es wichtig, die Folgekosten für Produzent*innen, Konsument*innen und andere Akteure fühlbar zu machen. Das ideale Mittel wäre eine Ausweitung des Emissionshandels oder der Emissionsbesteuerung auf den Agrar- und Ernährungssektor. Preissignale wären ein wichtiger Anreiz entlang der Wertschöpfungskette, um Betriebsmittel einzusparen und den Konsum zu verändern.

Mineraldünger werden auf einen Düngerstreuer verladen
Mineralische Dünger benötigen bei der Herstellung viel fossile Energie und gelten als klimaschädlich (Foto: CountrypixelImago)

 

Wenn fossile Energieträger teurer werden, werden auch synthetische Stickstoffdünger teurer. Das würde zu vielfältigeren Fruchtfolgen führen. Für den Ökolandbau ist das ein gutes Signal, weil er eine Stickstoffsteuer bereits impliziert hat. Auch die Regulierung des Stickstoffüberschusses im Ordnungsrecht spielt eine Rolle. Insgesamt müssen die Ernährungsumgebungen verändert werden, in der Außer-Haus-Verpflegung muss man mehr pflanzenbasierte Nahrungsmittel einführen und verbreiten.

Steht mit mehr Ökolandbau die globale Ernährungssicherheit auf dem Spiel?
Lotze-Campen: Wenn man annimmt, dass die Ernährungsmuster genau so bleiben, wie sie jetzt sind, und man würde auf 100 Prozent Ökolandbau umstellen, gäbe es wahrscheinlich ein Problem.

 

Ich finde es aber interessanter, die Fragen zu verbinden: Wie sieht es denn in Kombination mit veränderten Ernährungsmustern und einer deutlich gesünderen, fleischärmeren Ernährung aus? Dann stellt sich das Problem der Flächenknappheit global gar nicht mehr so dar. Wichtig ist, klare Rahmenbedingungen zu setzen, mit denen sich die nachhaltigen Entwicklungsziele erreichen lassen. Dann werden sich die interessantesten Produktionsverfahren von selbst durchsetzen.

Welche besonderen Vorteile bietet der Ökolandbau?
Lotze-Campen:
Ich sehe nicht, dass der Ökolandbau pauschal eine Lösung für den Klimaschutz ist. Aber bei der Diskussion um Ökolandbau muss man auch immer die anderen positiven und gewünschten Effekte mitdenken. Beim Produktvergleich zwischen öko und konventionell sind die Emissionen im Durchschnitt gar nicht so unterschiedlich. Aber der tendenziell höhere Humusgehalt im Boden beim Ökolandbau und vielfältigere Fruchtfolgen punkten beim Aspekt Klimaresilienz. Biodiversität muss auch mitgedacht werden, die Artenvielfalt ist im Ökolandbau höher. Den Ökolandbau muss man immer in einem breiteren Zielkorridor betrachten. Trotzdem ist es so, dass ein Großteil der Emissionen am Ende an der Tierhaltung hängen, und die müsste auch im Ökolandbau reduziert werden.

Das Interview erschien zuerst im bioland-Fachmagazin. Das Gespräch führte Niklas Wawrzyniak. 

Ein Kreislauf fürs Klima

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Aus Futter wird Dünger wird Futter wird Dünger...

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