Brotbacken ist eigentlich traditionelles Handwerk. Die Praxis sieht heute jedoch meist anders aus (Foto: Sonja Herpich)

Fingerspitzengefühl statt Muskelkraft

Interview zum Bäckerhandwerk

15.10.2019

Jeder Supermarkt hat mittlerweile einen ganzen Gang voller Brot und Brötchen. Geknetet, vorgebacken und tiefgefroren sehen die Brotwaren auf ihrem Lebensweg allerdings meist mehr Maschinen als Menschenhände. Wie viel Handwerk steckt heute überhaupt noch in einem Brötchen? Zwei Bäcker geben Auskunft.

Von Das Interview führt Angelika Franz

Wie viel Hand legt denn eigentlich ein Bäcker heute überhaupt noch an ein Brötchen?

Bernd Kütscher: Angesichts von 11.000 handwerklichen Bäckereien mit unterschiedlichen Größen, Rezepten, Ausstattungen und Verfahren lässt sich das nicht pauschal beantworten. Insgesamt kommt es beim Handwerk heute weniger auf die Muskeln an, sondern eher die Fachkompetenz, die Erfahrung und das Fingerspitzengefühl des Bäckers. Geknetet wird der Teig in aller Regel mit der Maschine, auch in den kleineren Bäckereien. Dort gibt es zudem eine Maschine, die die anstrengende Arbeit bei der Brötchenherstellung übernimmt: das Abwiegen und Rundformen. Der Bäcker wiegt zunächst die 30-fache Teigmenge ab und wirkt ihn von Hand rund. Nach der Teigreifezeit formt die Maschine daraus 30 gleichmäßige, eckige oder auch runde Stücke, die dann manuell oder maschinell weiterverarbeitet werden können.
 

Zur Person

Bernd Kütscher (Foto: H. Seehuber)





Bernd Kütscher (51) ist gelernter Bäckermeister und Betriebswirt. Seit 2006 leitet er die Akademie des Deutschen Bäckerhandwerks im badischen Weinheim, seit 2008 zusätzlich auch das Deutsche Brotinstitut in Berlin. Außerdem wurde er von der Bundesregierung in die Deutsche Lebensmittelbuch-Kommission berufen, coacht die Bäckernationalmannschaft und leitet international die Weltmeisterschaften seines Handwerks als Jurypräsident.


Gilt das auch für die Biobäckereien?
Nils Müller: Wir nutzen schon auch Maschinen und technische Innovationen, wo sie uns die Arbeit erleichtern - es wäre ja schön dumm, das nicht zu tun. Allerdings haben wir mehr Sorten, die mit der Hand aufgearbeitet werden müssen, da können wir keine Maschinen nutzen. Der Unterschied zwischen Biobäckern und konventionellen Bäckern liegt aber weniger in der eigentlichen Handarbeit, als im Riechen, Schmecken und Fühlen. Wir brauchen ein Gefühl für den Teig, für die Gärprozesse, für die Besonderheiten der Zutaten. Unsere Mehle sind zum Beispiel nicht so standardisiert wie konventionelle Mehle. Als Biobäcker muss ich deshalb den Backprozess viel enger begleiten und mehr über das Verhalten des Teiges wissen.

Und wie sieht es mit den Zutaten aus? Gibt es da Unterschiede zwischen Bio und Nicht-Bio, die sich auf die Arbeitsprozesse auswirken?
Kütscher: Die Rohstoffe des Biobäckers müssen aus besonderen Anbaubedingungen kommen, und der Bäcker muss sich einer Bio-Zertifizierung unterwerfen. Die schaut maßgeblich auf die innerbetrieblichen Prozesse und prüft, ob die eingekauften Biorohstoffe mit der verkauften Menge an Brot zusammenpassen.
Müller: Da gibt es ja innerhalb der Biobranche auch noch deutliche Unterschiede. Bei EU-Bio sind beispielsweise jede Menge Hilfsstoffe erlaubt, die die Teigführung einfacher machen und die Produkte beeinflussen. Bei Bioland-zertifizierten Produkten kommen diese technischen Enzyme nicht in den Teig. Nehmen wir zum Beispiel einen Berliner Pfannkuchen: Wenn der mit Zusatzstoffen versehen ist, die den Teig stabil halten, dann kann ich den Teig vorbereiten und die Teiglinge dann ins Fett geben, wenn es in den Ablauf passt. Fehlen diese Hilfsstoffe, dann muss ich ganz genau auf den Teig achten, wann er so weit ist, gebacken zu werden. Hab‘ ich den Zeitpunkt verpasst, ist der ganze Teig verdorben.
 

Zur Person

Nils Müller (Foto: Bohlsener Mühle)







Nils Müller (48) ist Bäckermeister seit 1993, im Bio-Bereich ist er bereits seit 25 Jahren unterwegs. Seit 2011 leitet er die Frischebäckerei der Bohlsener Mühle. Müller ist überzeugter „Bäcker aus Leidenschaft“, sein Motto ist „weniger ist mehr“. Er ist verheiratet und hat sechs Kinder.


Immer mehr Bäcker geben auf, Azubis rücken kaum nach: Waren im Jahr 2008 bundesweit noch rund 15.337 Bäckereien in der Handwerksrolle eingetragen, waren es Ende 2018 nur 10.926. Ist da das Bäckerhandwerk noch zu retten?
Müller: Das ist ja leider ein Problem des gesamten Handwerks. Besonders auf dem Land fangen kaum noch Schulabgänger eine handwerkliche Ausbildung an. Meist sind es vor allem die Eltern, die ihren Kindern davon abraten. Die schicken sie lieber zur Uni. Dabei bereichert das Handwerk doch unsere Gesellschaft, gibt jahrtausendealtes Wissen weiter. Bei der Bohlsener Mühle bemühen wir uns um Nachwuchs, indem wir an die Schulen gehen, mit den Kindern backen und ihnen zeigen, was ein Bäcker eigentlich so macht. Am besten aber funktioniert die Mund-zu-Mund-Propaganda: Wenn ein Lehrling rumerzählt, dass er gerade eine Ausbildung macht, die spannend ist und viel Spaß macht, dann wollen andere das auch machen. Deshalb gestalten wir die Ausbildung möglichst abwechslungsreich. Bei uns lernt der Nachwuchs alles kennen, nicht nur die Backstube, sondern auch die Mühle mit all ihren Prozessen und den restlichen Betrieb - damit sie das große Ganze sehen und verstehen. Dazu gibt es finanzielle Vergünstigungen beim Sport, Fortbildungen, die Möglichkeit, auf einem firmeneigenen Acker zu gärtnern, und ein Wohnhaus für unsere Azubis.

Gibt es denn in der Ausbildung Unterschiede zwischen Bio- und konventionellen Bäckern?
Müller: Die Auszubildenden besuchen die gleichen Schulen und lernen zusammen. Die Ausbildung in den besonderen Anforderungen muss dann der jeweilige Betrieb übernehmen. Ein Unterschied ist sicherlich, dass viele Biobäckereien kleine Betriebe sind. Das heißt, jeder muss alles machen, so lernt man schneller - und die Arbeit ist interessanter.

Schätzungen zufolge liegt der Anteil der Biobäckereien derzeit bei rund zehn Prozent. Der Anteil steigt zwar, das liegt aber vor allem daran, dass vor allem die konventionellen Betriebe dichtmachen. Wo werden die Brötchen der Zukunft gebacken?
Müller: Das bleibt abzuwarten. In der Bio-Branche steht gerade ein Generationswechsel an. Viele Biobäckereien gibt es seit den Achtzigerjahren - das war die Zeit, in der viele sich bewusst für einen anderen Lebensstil entschieden haben. Diese Bäcker kommen aber jetzt langsam ins Rentenalter und müssen Nachfolger finden, die den Betrieb mit dem gleichen Herzblut weiterführen. Das ist keine leichte Aufgabe.

Lohnt es sich denn, eine Biobäckerei zu übernehmen?
Müller: Bei Verbrauchern sind Biobäckereien auf jeden Fall beliebt. Und kleine, lokale Biobäckereien können etwas bieten, was große Ketten nicht leisten können: Frische und Regionalität. Die können direkt mit den Erzeugern aus der Nachbarschaft zusammenarbeiten. Wir haben zum Beispiel jetzt einen Bauern gefunden, der für uns Quinoa anbaut, damit wir das nicht aus Südamerika importieren müssen. Ich würde mir wünschen, dass die Verbraucher sich noch mehr damit auseinandersetzen, was in so einem Brot tatsächlich alles drinsteckt - nicht nur die Zutaten, sondern auch die gesellschaftlichen Zusammenhänge.
 

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