Auf Exkursionen bringt Naturschutzberaterin Katharina Schertler Interessierten das Thema "Biodiversität" näher. (Fotos: Sonja Herpich/Bioland)

"Auch im Ökolandbau ist nicht alles dunkelgrün"

Naturschutzexpertin Katharina Schertler erklärt, wie eine Richtlinie für mehr Biodiversität sorgen soll

18.05.2020

Um die Biodiversität steht es schlecht. Wie sich der drastische Rückgang vieler Arten auf unser gesamtes Ökosystem auswirkt, kann zurzeit noch niemand so genau vorhersagen. Unbestritten ist für Naturschutzberaterin Katharina Schertler, dass die Landwirtschaft gegensteuern muss. Gemeinsam mit weiteren Experten hat sie eine Biodiversitäts-Richtlinie entwickelt, an die sich Bioland-Betriebe künftig halten müssen. Im Interview erzählt sie, was dahintersteckt.

Von Désirée Thorn

Frau Schertler, Wie würde Ihr Traum-Bauernhof der Vielfalt aussehen?
Katharina Schertler: Es wäre auf jeden Fall ein Gemischtbetrieb, der Tiere hält und eine vielfältige Fruchtfolge anbaut. Außerdem sollte sich der Betrieb um Landschaftspflege kümmern, also um die Strukturen, die dazugehören. Und er sollte realisiert haben, dass Hecken und Feldraine nicht nur stören, sondern dass sie auch in seinem betrieblichen System eine Funktion und eine Berechtigung haben.

Wie kommt es, dass das in der Realität zum Teil anders aussieht?
Schertler: Ein Problem ist definitiv die Ausbildung unserer Landwirte, in die das Thema Biodiversität nur ganz langsam einfließt. Das Selbstverständnis, dass man als Bauer auch Gestalter von Kulturlandschaft ist, spielt dadurch häufig keine Rolle. Im Ökolandbau ist das oft anders, aber auch unsere Betriebe sind in die konventionellen Strukturen eingebunden. Außerdem gibt es Hindernisse, die die Landwirte selbst nur schwer beeinflussen können. Die Ausrichtung der Agrarpolitik ist etwa ein ganz wichtiger Faktor. Mit einer am Weltmarkt und seinen Werten orientierten Landwirtschaft können wir in Deutschland keine biodiversitätsfördernde Landwirtschaft aufbauen. Letzten Endes sind es aber auch die Verbraucher, die zu der Entwicklung beitragen. Viele können nicht nachvollziehen, dass bestimmte Lebensmittel teurer sind, wenn sie anders produziert werden.

Welchen Stellenwert nimmt das Thema Artenvielfalt dann überhaupt ein?
Schertler: Bei unserer Umfrage unter Bioland-Mitgliedern, die wir vor zweieinhalb Jahren gemacht haben, haben alle 250 Teilnehmer gesagt, dass ihnen Biodiversität wichtig oder sogar sehr wichtig ist. Wir haben im Ökolandbau unter den Betrieben den starken Wunsch, im Einklang mit der Natur zu wirtschaften. Deshalb gibt es bei Bioland und auch in anderen Ökoverbänden sehr viele Betriebe, die als Pioniere unterwegs sind, die wirklich innovative und fachlich versierte Konzepte entwickeln, um Naturschutzthemen in einen wirtschaftlichen Betrieb zu integrieren.

Trotzdem will Bioland mehr und führt jetzt sogar als erster deutscher Bioanbauverband eine eigene Richtlinie zur Förderung der Biodiversität auf den Betrieben ein. Wieso?
Schertler: Das liegt zunächst daran, dass dieses Grundbekenntnis, mit der Natur wirtschaften zu wollen, nicht automatisch in der Praxis umgesetzt wird. Oft wissen die Betriebe nicht genau, wie sie mehr für Biodiversität tun könnten, manchmal hat es aber auch nicht die notwendige Priorität. Außerdem haben Richtlinien für uns bei Bioland auch immer das Ziel, etwas am System zu verändern. Das erzeugt eine andere Dynamik als die Freiwilligkeit.

Also war es an der Zeit für klare Regeln?
Schertler: Genau. Der Verband wächst – und in solchen Strukturen ist es einfacher, wenn man mit klaren Vorgaben arbeitet. Das ist eine verlässliche Größe für alle: Bestehende Betriebe können sichergehen, dass Neumitglieder mitziehen, unsere Verarbeiter wissen, welche Naturschutz-Qualität ihre Rohwaren haben und auch unsere Kunden schätzen, dass wir Regeln haben, die nicht verhandelbar sind. Nicht jeder hat die Möglichkeit, selbst beim Landwirt um die Ecke zu überprüfen, ob die Qualitätsversprechen eingehalten werden. Deshalb braucht es die Richtlinien, damit sich der Kunde darauf verlassen kann, dass ein Produkt gewisse Anforderungen erfüllt.

Zur Person

Frau lehnt an Holzwand




Katharina Schertler ist Diplom Landschaftsökologin und arbeitet seit 2008 als Naturschutzberaterin für Biobetriebe beim Anbauverband Bioland. Sie hat in den vergangenen Jahren zwei bundesweite Forschungs- und Entwicklungsprojekte zur Methodik von Naturschutzberatung auf biologisch und konventionell wirtschaftenden Betriebe geleitet und ist regelmäßig als Referentin sowohl für Fachleute, Landwirte als auch Verbraucher tätig. Als Geschäftsführerin der Biobauern Naturschutz gGmbH betreut sie ein Projekt zum Erhalt und der Förderung von Ackerwildkräutern. Katharina Schertler koordiniert die bundesweiten Aktivitäten des Bioland Verbandes im Bereich Naturschutzberatung und Biodiversitätsförderung und ist hauptverantwortlich für die Entwicklung der Bioland-Biodiversitäts-Richtlinie.


Wie sollen die Bemühungen um Biodiversität in Zukunft gemessen und kontrolliert werden?
Schertler: Wir setzen bei der Biodiversitäts-Richtlinie ein Punktesystem um. Unsere Bioland-Betriebe müssen 100 Biodiversitäts-Punkte sammeln. Zum Sammeln dieser Punkte gibt es verschiedene Kataloge, zum Beispiel für Acker-, Grünland- oder Obstbauflächen. Die Betriebe können dann selbst auswählen, welche Maßnahmen sie umsetzen, um die Punkte zu erreichen. Wichtig ist außerdem: Es wird immer alles relativ zur Betriebsfläche bewertet. Die Landwirte tragen in eine App ein, welche Maßnahmen sie umgesetzt haben und bekommen dann entsprechend ihrer Fläche die Punkte dafür. Geprüft wird das Ganze über unsere Kontrollstellen, die ab 2022 jedes Jahr 5 Prozent der Betriebe stichprobenartig kontrollieren.

Ein Beispiel: Wenn ich einen Nistplatz für Storchen einrichte, bekomme ich genauso viele Punkte wie wenn ich mehrere Tiere einer seltenen Haustierrasse halte oder aber, wenn ich nachweise, dass auf 10 Prozent meiner Ackerfläche zwei gefährdete Ackerwildkräuter vorkommen. Wie sind diese Bewertungen entstanden?
Schertler: Das ist tatsächlich die Schwierigkeit, vor der alle stehen, die solche Leistungen bewerten wollen. Wir haben in Deutschland keinen Referenzbetrieb. Wir haben uns dem genähert, indem wir bestimmte Maßnahmen festgelegt und in Relation gesetzt haben, die ein Betrieb umsetzen sollte. Da haben wir uns auf Maßnahmen bezogen, die erwiesenermaßen grundsätzlich die Biodiversität fördern.

Die Effekte der Maßnahmen werden aber nicht gemessen. Wieso?
Schertler: Das ist in den meisten Fällen gar nicht möglich. Wenn ein Betrieb zum Beispiel etwas für Feldlerchen tut, alle anderen Betriebe um ihn herum aber etwas tun, was Feldlerchen schadet, wird es in dieser Region insgesamt weniger Feldlerchen geben. Und womöglich wären es ohne die Bemühungen des einen Betriebes sogar noch weniger. Den Effekt zeigen, könnten wir in diesem Fall aber nicht. Das geht nur auf Betrieben, die große Flächen am Stück haben. Abgesehen davon wären solche Messungen und Zählungen ein wahnsinniger Zeitaufwand, der gar nicht zu leisten ist.

Für viele gilt die Richtlinie dennoch als wegweisend. Wie kommt's?
Schertler: Bioland ist in Deutschland der erste Anbauverband, der eine solche Richtlinie eingeführt hat. Damit setzen wir im Ökolandbau – und letztlich auch für den konventionellen Bereich – neue Maßstäbe. Bioland bekennt sich ganz offensiv zum Thema Biodiversität und macht damit deutlich, dass auch im Ökolandbau nicht alles dunkelgrün ist. Auch wir müssen hier etwas tun.

Wo genau gibt's noch viel zu tun? Welche Arten werden Ihrer Meinung nach noch komplett unterschätzt?
Schertler: Die Ackerwildkräuter, weil sie die Grundlage für alles nachgelagerte Leben auf dem Acker sind. Das wird völlig ausgeblendet. Die Insekten haben sehr aufgeholt, aber da fehlt den meisten verständlicherweise der Detailblick. Was viele Menschen – auch Landwirte – oft vergessen ist, dass wir nicht den aktuellen Stand, sondern die künftige Entwicklung beurteilen müssen. Viele erwachsene Kiebitze erzeugen etwa keine Jungtiere mehr, weil sie sie nicht aufziehen können. Die Tiere, die wir heute noch sehen, sind also für die Population eigentlich schon tot. Das klingt drastisch, ist aber zurzeit in vielen Regionen ein großes Problem.

In welchen Bereichen ist das Thema Artenvielfalt trotzdem schon in der Gesellschaft angekommen?
Schertler: Ich hätte mir vor fünf Jahren gar nicht vorstellen können, dass dieses Thema überhaupt mal die öffentliche Aufmerksamkeit bekommt, die es seit zwei, drei Jahren erfährt. Ich war gewohnt, in einer Randgruppe unterwegs zu sein, mit Themen zu arbeiten und Dinge wahrzunehmen, die niemanden interessieren. Und jetzt kann man auf einmal in großen Zeitungen Berichte lesen, die es vorher nur in Fachmagazinen gab. Aber ähnlich wie beim Klimawandel ist das wirkliche Verständnis noch nicht da, wie schlimm es um die Biodiversität jetzt schon steht und dass die ganze Entwicklung einen sehr ungewissen Ausgang für uns Menschen hat.

Wie kann ich als Verbraucher Biodiversität fördern?
Schertler: Man sollte ganz klar den Lebensmittelkonsum anpassen. Da gelten die ganz klassischen Regeln: weniger Fleisch, aber gutes; gezielt Produkte kaufen, die Biodiversität erhalten wie Streuobstapfelsaft oder Fleisch von Beweidungsprojekten – und natürlich eher ökologisch einkaufen als konventionell. Man kann außerdem agrarpolitische Themen beim eigenen Wahlverhalten berücksichtigen, oder generell in die Öffentlichkeit tragen, dass die Förderung von Biodiversität ein wichtiges Anliegen ist. Außerdem sollte man in seinem eigenen Umfeld lieber auf blühende Pflanzen setzen, als auf den Steingarten. Die Möglichkeiten des Einzelnen sind aber wie beim Klimawandel doch relativ beschränkt. Wir brauchen die politischen Veränderungen. Ohne die geht's nicht.

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