Immer weniger Pollen-Taxis unterwegs
Käfer und Schmetterlinge werden rar
Nicht nur den Bienen, sondern der Insektenwelt insgesamt geht es nicht so gut. Das große Krabbeln, Flattern und Summen lässt immer weiter nach. Warum es uns nicht egal sein kann, wenn es immer weniger Schmetterlinge, Käfer, Hummeln oder Schwebfliegen gibt, erklärt Biologe Josef Settele.
Herr Settele, die sogenannte Krefelder Studie hat über die vergangenen Jahrzehnte einen starken Insektenschwund festgestellt. Sollte uns das beunruhigen?
Josef Settele: Auf jeden Fall. Die Ergebnisse sind alarmierend und ein Indiz dafür, dass es da ein Problem gibt. Zunehmend zeigen auch weitere Studien, dass wir auch an vielen anderen Orten Probleme vor allem mit der Insektenvielfalt haben. So gibt es beispielsweise auch ein bundesweites Monitoring, da zählen engagierte Bürger Tagfalter. Auch da zeigen sich Trends in Richtung des Verlustes von Artenvielfalt, aber nicht bezüglich des Verschwindens von Individuen, also der Biomasse. Und selbst wenn das Monitoring erst seit 2005 läuft ist es bedenklich, dass wir solche Trends nach nur relativ kurzer Zeit sehen können. Man kann davon ausgehen, dass der eigentliche Einbruch schon früher stattfand. Dass immer mehr Vögel als gefährdet gelten, ist auch ein Hinweis auf weniger Insektenmasse. Das Futter wird knapp.
Der eine oder andere wird sich denken: "Weniger Insekten? Prima! Dann hab ich doch auch weniger Schädlinge im Garten."
Settele: Darauf würde ich nicht spekulieren. Probleme, die wir mit Buchsbaumzünslern, Prozessionsspinnern oder Borkenkäfern haben, zeigen uns, dass wir nicht überall Verluste haben. Schädlinge können vom Insektensterben sogar profitieren, weil ihre natürlichen Fressfeinde - andere Insekten und Vögel - auch weniger werden.
Ein großes Problem sind die Insektizide in der Landwirtschaft. Diese sind ja gerade dafür entwickelt worden, Insekten zu töten. Das Problem: Schädlinge erholen sich davon meistens schneller als ihre Gegenspieler. Das kann dazu führen, dass wir zunächst viele Schädlinge haben. Sie werden dann zwar später wieder durch die Nützlinge dezimiert, aber das kann für das Getreide, Gemüse oder Obst schon zu spät sein.
Bei einem Unkrautvernichter wie Glyphosat ist die Wirkung indirekt. Wenn die Wildkräuter verschwinden, finden die Insekten weniger Blüten.
Also sind auch die Pestizide schuld?
Settele: Der Einsatz von Pestiziden spielt sicherlich eine wichtige Rolle - gerade auch in Kombination mit Klimaveränderungen oder dem Befall mit Parasiten, wie wir das von Bienen kennen. Außerdem finden sich viele Pestizide später in Böden und Seen wieder, wo sie ebenso für den Rückgang vieler Insekten verantwortlich sein dürften. Viele Insekten haben ja mal als Larven in der Erde oder im Wasser gelebt. Dass die Landschaft immer eintöniger wird, macht den Insekten auch zu schaffen. Ihr Lebensraum schrumpft. Es gibt immer weniger blühende Wiesen, Moore oder Heidelandschaften.
Aber das eigentlich Besorgniserregende ist doch das Bienensterben, oder?
Settele: Meinen Sie die Honigbiene? Klar, die ist einer der wichtigsten Bestäuber. Aber nicht immer und überall. Da sind insbesondere Wildbienen wichtig oder auch Schwebfliegen. Die Bohnen in Ihrem Garten zum Beispiel lassen sich von Hummeln bestäuben. Und bei Apfelbäumen bestäuben Honigbienen nur ein Viertel der Blüten. Den Großteil der Arbeit erledigen Wildbienen und Schwebfliegen. Und auch Schmetterlinge und Käfer spielen Pollen-Taxi. Je weniger Honigbienen es gibt, desto wichtiger werden andere Bestäuber. Oder wenn das Wetter Kapriolen schlägt. Im Jahr 2017 zum Beispiel bei der Kirschblüte war es den Bienen noch zu kalt, aber die Hummeln waren mancherorts zum Glück schon unterwegs und sind eingesprungen.
Andersherum sind zum Beispiel viele Tagfalter wählerisch beim Futter.
Settele: Das stimmt. Hochspezialisierte Insekten fressen nur auf bestimmten Pflanzen. Auch wenn diese Pflanzen noch recht häufig vorkommen, benötigen die Insekten zusätzlich ein bestimmtes Mikroklima. Wenn dem nicht so wäre, würden Sie überall, wo Brennnesseln stehen, auch Schmetterlinge wie Tagpfauenauge oder Kleiner Fuchs sehen.
Noch mal zurück zur Krefelder Studie: Die Insektenzählung fand in Naturschutzgebieten statt. Da müssten doch eigentlich ideale Bedingungen herrschen.
Settele: Naturschutzgebiete sind bei uns in aller Regel keine Wildnisgebiete, sondern durch landwirtschaftliche Nutzung geprägt und meist auch durch die Nutzung entstanden. Ändert sich diese Nutzung, können daraus auch negative Effekte resultieren. Außerdem verweht der Wind manche Pestizide kilometerweit. In Gebieten mit intensiver Landwirtschaft geht es den Insekten wahrscheinlich noch viel schlechter, wie wir auch bei einer Analyse mit Tagfaltern feststellen konnten.
Was bedeutet ein Insektensterben für das ökologische Gleichgewicht?
Settele: Es gerät durcheinander. Vögel, die auf Insekten als Nahrung angewiesen sind, gehen noch stärker zurück. Und auch die Pflanzenwelt verändert sich, wenn es weniger Bestäuber gibt. Das könnte nicht nur Kräuter betreffen, sondern auch Bäume. Viele Pflanzen würden dann kleinere Früchte und Samen bilden oder gar keine. Darunter leiden dann auch die Körnerfresser unter den Vögeln. Also könnte letztlich ein Großteil der Vogelwelt betroffen sein. Und wir Menschen auch. In China gibt es in manchen Obstanbaugebieten bereits keine tierischen Bestäuber mehr. Die Menschen müssen selbst von Hand bestäuben.
Lässt sich dieser Trend noch stoppen?
Settele: Insekten vermehren sich leicht. Wenn sich ihre Lebensbedingungen verbessern, erholen sie sich auch schnell wieder. Was ihnen hilft: Eine abwechslungsreiche Landschaft, viel Grünland und Bauern, die wenig Pestizide einsetzen. In meinem neuen Buch „Die Triple-Krise“ gehe ich auf viele der hier genannten Aspekte ein – und auch auf die Lösungsmöglichkeiten.
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