Immer mehr Menschen meiden Backwaren aus Weizengetreide (Foto: Sonja Herpich)

Die Spreu und der Weizen

02.04.2019

Weizen – seit Jahrtausenden wird er angebaut, für Milliarden ist er Grundnahrungsmittel. Aber nicht alle lieben ihn: Dick und krank soll er machen, sagen seine Gegner. Doch die Angelegenheit ist komplizierter.

Von Annette Sabersky

Dass Weizen noch vor Mais und Reis das weltweit wichtigste Getreide ist, hat gute Gründe: Er lässt sich einfach und vielfältig verarbeiten, Weizenteige sind fluffig und geschmeidig, aus ihnen entstehen im Ofen knackige Baguettes, knusprige Brötchen und Croissants ebenso wie Kuchen und Kekse. Und Pasta? Pizza? Ohne Weizen kaum denkbar.

Einkorn gehört den sogennanten Urgetreiden (Foto: Imago)

 

Lange vor dem Weizen, wie er heute auf riesigen Flächen angebaut wird, gab es Dinkel, Emmer, Einkorn und Khorasan (auch Kamut genannt). Sie werden deshalb auch als Urgetreide bezeichnet. Im Bio-Laden sind sie Trend - gerade weil ihr moderner Verwandter so oft kritisiert wird. Der US-amerikanische Arzt und Autor William Davis behauptet, Weizen mache dick, er fördere auch Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Sein Kollege David Perlmutter sieht das Getreide sogar als mitverantwortlich für Alzheimer und andere Störungen des Gehirns an.

Doch es verbannen zunehmend auch Menschen ohne Not Gluten aus dem Essen. Dabei gibt es Experten zufolge keine Anhaltspunkte, dass Weizen nur annähernd so ungesund ist, wie ihn seine Kritiker beschreiben. Und nicht immer liegt es am Weizen, wenn man sich leichter fühlt, nachdem man die Salami-Käse-Pizza oder die Sahnetorte weggelassen hat ...

Auch wenn wohl jeder Freunde und Bekannte hat, die "jetzt das Getreide weglassen": 90 Prozent der Verbraucherinnen und Verbraucher haben keine Probleme mit Weizen und Co., erklärt Detlef Schuppan, Leiter der Ambulanz für Zöliakie und Dünndarmerkrankungen der Uniklinik Mainz.

 

Nur bei weniger als 0,5 Prozent der Deutschen wird tatsächlich eine Zöliakie diagnostiziert. Ihr Dünndarm reagiert auf den Kleber im Getreide, also das Gluten, mit einer Entzündung - schon beim Verzehr von kleinen Mengen von Gluten oder dessen kleinem Bruder Gliadin.

Auch Menschen mit einer Weizeneiweiß-Allergie oder der so genannten Glutensensitivität können glutenfreie Produkte helfen. Die Betroffenen bekommen nach dem Genuss von Hartweizennudeln oder Weizentoast Hautjucken, Bauchschmerzen, Blähungen oder Durchfall, kleinere Mengen von Gluten vertragen sie aber laut Schuppan meist. Der Experte fand heraus, dass in diesen Fällen vermutlich gar nicht Gluten das Problem ist, sondern sogenannte Amylase-Trypsin-Inhibitoren, kurz ATIs genannt. Lange blieben sie unerkannt, da sie stets gemeinsam mit Gluten in Weizen vorkommen.

Sie könnten es sein, die zu Darmbeschwerden führen, aber auch zu Kopf- und Muskelbeschwerden, Müdigkeit und Konzentrationsschwäche. Wie viele ATIs im Getreide stecken, das ist vor allem von der Sorte abhängig. Und da kommt das Urgetreide ins Spiel: Denn Dinkel, Emmer und Einkorn enthalten tendenziell etwas weniger ATIs als Weizen. Auch der Standort, das Klima und der Erntezeitpunkt sind entscheidend. Es gibt also sowohl Dinkelsorten mit geringem ATI-Gehalt als auch solche mit hohem.

ATI - das neue Gluten?

Damit auch Menschen mit Weizenunverträglichkeit wieder Brot genießen können, hat sich Professor Schuppan mit dem Keyserlingk-Institut für Saatgutforschung und Getreidezüchtung im biologisch-dynamischen Anbau zusammengetan. Hier wird an Bio-Getreidesorten geforscht, die an den jeweiligen Standort angepasst sind. Die Forscher arbeiten dabei mit Bauern, Bäckern und dem Handel in der Region zusammen. Vor allem aber haben die Züchter die Gesundheit der Lebensmittel im Blick.

An drei Standorten wurden seit 2015 rund 85 Sorten Weizen und 15 Sorten Dinkel angepflanzt - sowohl konventionelle als auch Bio-Sorten. In Schuppans Labor wurden sie anschließend auf ihren ATI-Gehalt untersucht. Ergebnis: Sieben Weizensorten - fünf aus Bio-Züchtung und zwei konventionelle - haben sehr gute, also geringe ATI-Gehalte. Die Mengen liegen tendenziell sogar unter denen von Dinkel. Als Star stellte sich die Weizensorte "Goldritter" heraus. Ein Test mit 32 Freiwilligen, die nach eigenen Angaben unter einer Weizenunverträglichkeit litten, ergab: Zu etwa 90 Prozent vertrugen sie das vorgesetzte Goldritter-Brot.

Weizenteig sollte lange gehen (Foto: Imago)

 

Auch wenn das Ergebnis nicht repräsentativ ist, scheint es Weizensorten zu geben, die auch von Menschen mit einer Weizenunverträglichkeit weitgehend problemlos gegessen werden können. Auch Anbaumethoden und Verarbeitung haben Auswirkungen auf die Bekömmlichkeit von Weizen. So sind im Bio-Anbau die Gluten- und ATI-Mengen vermutlich geringer, da auch der Eiweißgehalt des Getreides teils etwas niedriger ist. Wie das Getreide verarbeitet wird, spielt ebenfalls eine Rolle: Eine Teigführung über mehrere Stunden oder Tage, wie sie in traditionell arbeitenden Betrieben praktiziert wird, kann den Gluten-, allerdings nicht den ATI-Gehalt reduzieren, fand Professor Schuppan heraus. Auch die rund 200 Zusatzstoffe, die für konventionelles Brot zugelassen sind, könnten eine Rolle für viele Darmbeschwerden spielen.

 

Ganz auf Weizen und Co. verzichten sollte man am besten nur auf ärztlichen Rat. Denn Vollkorngetreide ist eine wichtige Quelle für Ballaststoffe, probiotisch wirksame Fruktane sowie B-Vitamine, Magnesium und Zink. Wichtiger ist es vielmehr, wes Brot ich ess': Für viele vermeintliche Weizenopfer könnte schon der Gang zum Bio-Bäcker oder an die Brottheke des Bio-Ladens heilsam sein. Denn dort lässt es sich finden, gut gegangenes, bekömmliches Brot aus Bio-Weizen, Dinkel, Emmer, Einkorn und Co.

Der Text ist die leicht gekürzte und bearbeitete Fassung eines Artikels, der zunächst in der Zeitschrift Bioboom Frühjahr 2019 erschienen ist.

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