Der Weg der GAP ist nicht zufriedenstellend, da die Leistungen der Bäuerinnen und Bauern für Umwelt-, Klima- und Tierschutz nicht genug honoriert werden (Foto: imago)

"Das Murmeltier grüßt nicht mehr"

Warum niemand die GAP-Kompromisse schönreden darf

25.10.2020

Nun haben Agrarministerrat und das Europäische Parlament ihre Positionen zur GAP-Reform abgestimmt. Die Ergebnisse stießen auf heftige Kritik. Sie seien nicht nur ein „Weiter so“ der bisherigen Politik, sondern sogar ein Rückschritt gegenüber der vorigen Periode.

Besonders kritisch ist die Vorgabe des Parlaments, 60 Prozent der Mittel in der Ersten Säule für die pauschalen Hektarprämien zu reservieren. Dies engt Mitgliedstaaten auf Jahre ein, die die Erste Säule nutzen wollen, um Umweltleistungen der Landwirte zu honorieren. Im Gegenzug hat der Rat zwar einen Mindestanteil von 20 Prozent für die Umweltmaßnahmen in der Ersten Säule festgeschrieben, dies aber mit einer langen Übergangsphase.
 

Von Jan Plagge - Kommentar

Und täglich grüßt das Murmeltier … mögen sich viele Beobachter der Europäischen Agrarpolitik gedacht haben. Das Europäische Parlament und die Mitgliedstaaten verhandeln ihre Positionen zur anstehenden EU-Agrarreform, zuvor gab es unzählige Appelle, fundierte Kritik, gute Ideen, Strategievorschläge, Bekenntnisse zur Veränderung – herausgekommen ist am Ende: nichts.

Jan Plagge ist Präsident von Bioland e.V. und IFOAM Organics Europe (Foto: Sonja Herpich)

 

Wissenschaft und Gesellschaft fordern seit Jahren den Umbau des Fördersystems: Weg von den pauschalen und in fast jeder Hinsicht schädlichen Flächenprämien, hin zu einer qualifizierten Honorierung der Bauern und Bäuerinnen für Umwelt-, Klima- und Tierschutzleistungen. Politiker jeder Couleur bemühen die Forderungen in ihren Reden und Papieren: Dies ist das Jahrzehnt, auf das es beim Klimaschutz ankommt.

Wir brauchen ambitionierte Ziele für den Artenschutz. Bei den Anstrengungen der Mitgliedstaaten für Umwelt- und Naturschutz darf es keinen Wettbewerb nach unten geben.

Doch nun ist es wieder passiert: Die Profiteure und Befürworter des Status Quo setzen sich durch. Der Kern der Agrarpolitik bleibt weitgehend unangetastet. Schlimmer: Geht es nach dem Willen des Parlaments, soll die pauschale Flächenförderung auf Jahre zementiert werden. Dies bremst jene Mitgliedstaaten aus, die den Anteil der Umweltmaßnahmen in der Ersten Säule in den nächsten Jahren gerne schrittweise aufgestockt hätten. Erneut geht ein Jahrzehnt, das wohl entscheidende, für den Erhalt unseres Planeten verloren.

 

Diesmal ist es anders

Dennoch ist es diesmal anders als vor sieben, 14 oder 21 Jahren, als die vorigen GAP-Reformen verhandelt wurden. Diesmal handelt es sich nicht nur um einen Interessens- und Verteilungskampf zwischen der agrarindustriellen Lobby und der Umweltseite, bei dem am Ende immer die Stärkeren gewinnen. Diesmal ist es katastrophale Ignoranz.

Denn in diesem Jahr hat sich nicht zuletzt dank des Aufstands unserer Kinder europa- und weltweit das Bewusstsein verändert. Kein ernst zu nehmender Mensch leugnet die Dramatik und die Folgen der Klimakatastrophe und des Artensterbens mehr. Die Dringlichkeit umzusteuern, liegt offen zutage. Die entsprechenden Ziele und Maßnahmen hat die neue EU-Kommission im Green Deal und in zwei Strategiepapieren beschrieben: der Biodiversitäts- und der Farm-to-Fork-Strategie. Damit waren die Richtung, die Zielsetzung und das Tempo gesetzt.

Agrarrat und EU-Parlament haben die Zielmarken der Kommission links liegen gelassen. Es ist nicht akzeptabel, wenn Politiker die Kompromisse in den beiden Institutionen nun schönreden. Nein, es ist kein „Systemwechsel“. Es ist schlicht ein Leugnen der eigenen Verantwortung, wenn Ministerinnen und EU-Parlamentarier die schlechten Kompromisse nun mit übersteigerten Erwartungen der Klimaschützer oder den Niederungen der Realpolitik rechtfertigen.

Ehrlich wäre die Aussage: „Wir schaffen es nicht! Wir schaffen es einfach nicht, unsere großen politischen Möglichkeiten in der europäischen Landwirtschaft so zu nutzen, dass wir unsere Ziele erreichen können.“

Geht es nach dem Agrarministerrat, kann erst 2025 eine langsame, verbindliche Honorierung für zusätzliche Umweltleistungen der Landwirtschaft beginnen. Geht es nach den Abgeordneten, kann kein Mitgliedsstaat einen größeren Anteil der Steuermittel zielgerichtet für Klima- und Artenschutz einsetzen. Bleibt die Hoffnung, dass die Europäische Kommission in den Verhandlungen mit Rat und Parlament machtvoll darauf besteht, dass ihr so ambitionierter wie notwendiger Green Deal zum Tragen kommt.

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