Gemeinsam zum Ziel - sowohl auf dem Acker als auch daneben und finanziell: die Solidarische Landwirtschaft (Foto: Carmen Janzen)

Das Gefühl von „Meine Gärtnerei“

Was hinter der Solidarischen Landwirtschaft steckt

30.11.2020

Zwischen Sebastian Girmann und Sandra Wolf liegen fast 500 Kilometer. Ganz nah beieinander ist aber ihr Leitgedanke rund um die Landwirtschaft: Solidarisch soll sie sein. Und so wird auf viele Schultern verteilt investiert, geharkt und entschieden.

Von Annegret Grafen

Es scheint, als sei Sebastian Girmann selbst ein bisschen fassungslos. Darüber, wie erfolgreich die Solidarische Landwirtschaft ist, die er und ein paar Freunde vor fünf Jahren in Lenggries, rund 60 Kilometer südlich von München, gegründet haben. Wie schnell alles ging. Doch was ist das überhaupt, diese Solidarische Landwirtschaft oder kurz Solawi? Eine Gruppe von Verbraucher*innen bezahlt einen landwirtschaftlichen Betrieb dafür, dass er für sie Lebensmittel erzeugt. Die Intensität der Solidargemeinschaft ist unterschiedlich: vom bloßen Lohn für den Gärtner über die gemeinsame Anschaffung von Betriebsmitteln bis hin zum gemeinschaftlichen Besitz des Bodens. Das Risiko des Anbaus, wenn etwa ein Schädling die Kohlernte sabotiert oder eine Maschine kaputtgeht, trägt die Gemeinschaft.

Ilse Raeder ist Ernteteilerin bei Sebastian Girmann, der die Solawi Biotop Oberland aufgebaut hat (Foto: Carmen Janzen)

 

Das Biotop Oberland in Lenggries ist eine eher ungewöhnliche Solawi. Der Betrieb liegt nämlich auf dem Land, weit weg von einem Ballungsraum. Auch für den Gemüseanbau ist die Gegend nicht gerade typisch, auf 750 Metern Höhe und bei eher kühlen Temperaturen dominieren Wiesen und Kühe.

Die Bioland-Gärtnerei umfasst 1,7 Hektar Anbaufläche im Freiland und knapp 1000 Quadratmeter im Gewächshaus. 450 Mitgliedshaushalte erhalten von diesen Flächen wöchentlich eine bunte Gemüsekiste. Rund 50 Kulturen wachsen hier über das Jahr verteilt. Im Winter wird ein wenig zugekauft, um die Kisten zu füllen.

„Die Ideale einer Solawi sind unseren Mitgliedern bewusst und wichtig. Viele sind von Abokisten zu uns gekommen“, sagt Girmann, einer von zwei Vorständen der genossenschaftlich organisierten Solawi. Nachbarin Dörte Manthey-Weser, die nicht nur ihr Gemüse von hier bezieht, sondern auch gelegentlich zum Helfen kommt, bestätigt das: „Es geht um die Landwirtschaft insgesamt. Das fasziniert mich.“ Ilse Raeder, die die Gärtnerei ebenfalls gerne besucht, ergänzt: „Das Konzept einer Genossenschaft, die nicht auf Gewinn aus ist, gefällt mir.“

 

Mathematik auf dem Feld

Genauso jung wie das Biotop Oberland, wenn auch eine Nummer kleiner, ist die Solawi „Auf dem Acker“ in Rüsselsheim am Main - mitten im Ballungsraum Rhein-Main und dennoch sehr ländlich. Hier betreiben Heike und Werner Muster seit Jahrzehnten eine Bioland-Gärtnerei im Nebenerwerb. Der Landwirt selbst hatte die Idee, eine Solawi zu etablieren. Nachdem ein erster Versuch mit einer Gruppe von Interessenten von außerhalb gescheitert war, ist nun ein guter Einstieg gemacht. Sandra Wolf aus dem Nachbarort Trebur, eine Bekannte der Familie Muster und engagierte Naturschützerin, organisiert die Solawi gemeinsam mit einer Handvoll Mitstreiter*innen.

Ein Verein wurde gegründet, eine Gärtnerin eingestellt, 2018 haben sie zum ersten Mal Gemüse angebaut. „Damals haben wir 30 Kisten pro Woche gefüllt, ein Jahr später waren es schon doppelt so viele, in diesem Jahr sind es 85“, erzählt Wolf. Einige der 128 Mitglieder beziehen halbe Kisten. Der Aufbau der Solawi hatte seine Härten, unzählige ehrenamtliche Stunden flossen hinein und die Planung war für die gartenbaulichen Laien nicht einfach: Wie viele Arbeitsstunden braucht man? Wie viel Gemüse muss angebaut werden, um die Kisten zu füllen? Wie sieht eine erfolgreiche Fruchtfolge aus? „Bei der Anbauplanung bin ich als Mathematikerin gar nicht schlecht aufgestellt“, sagt Wolf und lacht.

 

Sandra Wolf ist die treibende Kraft bei der Solawi "Auf dem Acker" im hessischen Rüsselsheim. Die Jungpflanzen werden zum Teil selbst gezogen (Foto: Annegret Grafen)

 

 

Die sehr sandigen Böden hier müssen bewässert werden (Foto: Annegret Grafen)

 

 

Mit Spaß und Plan sind die Ernteteiler*innen dabei (Foto: Annegret Grafen)

 

 

Immer beliebt sind die knallroten Tomaten - ein Genuss (Foto: Annegret Grafen)

 

„Auf dem Acker“ ist auf die tätige Mithilfe der Ernteteiler*innen beim Ernten und Unkrautzupfen angewiesen, die kommen aber meistens gerne. Die fünf Vorstände des Vereins teilen sich die administrative und kommunikative Arbeit. Die Auslieferung an die Mitglieder ist einfach organisiert: Die Gärtnerei packt keine individuellen Kisten, sondern fährt das Gemüse in acht Depots. Dort teilen sich die Mitglieder die ihnen zustehende Menge Tomaten, Zucchini, Auberginen, Salat, Kartoffeln und was es sonst noch alles gibt, selber zu.

Teil des großen Ganzen

Die Ursprünge von Biotop Oberland liegen sechs Jahre zurück. Angefangen haben der studierte Gartenbauer Girmann und ein paar Freunde „ohne Investitionen, ohne großes Risiko“ auf Teilflächen zweier Bio-Gärtnereien. Da die Mitgliederzahl wuchs und der Betrieb an seine Grenzen stieß, wagte das Team 2017 den Sprung in die eigene Gärtnerei in Lenggries. Die Genossenschaftsmitglieder stimmten zu, das Team fand einen Landwirt, der ihnen zwei Hektar Land auf 13 Jahre verpachtete. Der erste Infoabend in Bad Tölz stieß bereits auf großes Interesse. „Wir haben gemerkt, das funktioniert tatsächlich“, erzählt der Gärtner. Das Startkapital von 230.000 Euro für Geräte, Maschinen und Gewächshäuser war über Genossenschaftseinlagen innerhalb weniger Monate beisammen. Die Gewächshäuser wurden gebaut und ein Jahr später wuchs schon das erste Gemüse. „Die größte Hürde beim Aufbau war, die Gehälter im ersten Jahr zu finanzieren“, berichtet Girmann. Ab 250 Mitgliedern hat das geklappt, ab 400 sehr gut: „Wir bezahlen deutlich übertarifliche Löhne.“

 

Sebastian Girmann freut sich über seine Solawi: "Das funktioniert wirklich!" (Foto: Carmen Janzen)

 

 

Die Gebäude hat der Verpächter gebaut und vermietet sie an die Solawi Biotop Oberland (Foto: Carmen Janzen)

 

 

In das Gewächshaus hat die Genossenschaft investiert (Foto: Carmen Janzen)

 

 

Gemeinsam anpacken, erzählen, mitbestimmen und vor allem ein Ergebnis in den Händen halten: Solawi ist Beteiligung pur (Foto: Carmen Janzen)

 

Die Initiatoren der Solawi „Auf dem Acker“ haben als Rechtsform den eingetragenen Verein gewählt, „weil es so schön schnell ging“, wie Sandra Wolf sagt. Außerdem brauchte die Gärtnerei kaum Startkapital, weil der Verpächter Land und Gerätschaften zur Verfügung stellt. Den Preis des Gemüses legt die Solawi in einer jährlichen Bieterrunde fest. Der Vorstand stellt in der jährlichen Mitgliederversammlung vor, welche Kosten der Verein im Folgejahr zu tragen haben wird, dann bieten die Mitglieder anonym, wie viel sie im Monat bezahlen wollen. Sollte nicht genug Geld zusammenkommen, gäbe es eine zweite Bieterrunde. Das war bisher allerdings nicht nötig.

Die Mitglieder genießen das Gefühl, ihnen gehöre ein Stück vom Hof. „Meine Gärtnerei“, sagen sie. Generell ist laut Girmann die enge Beziehung zu den Mitgliedern das A&O einer Solawi. So gibt es in Lenggries ein „Wochenbladl“, das die Ernteteiler*innen über die aktuelle Situation in der Gärtnerei informiert: Was wächst gerade? Was wird diese Woche in der Kiste sein? Zwei passende Rezepte vervollständigen den Rundbrief. In Zeiten ohne Corona kommen ein Sommerfest, Führungen, Mitgärtnertage und gemeinsames Sugo-Kochen hinzu. Dazu eine Homepage, die stets auf aktuellem Stand ist. Im Herbst können sich die Mitglieder per Umfrage zum Inhalt der Kisten äußern.

Bist du nun auch zum Fan von Solawis geworden? Hier kannst du dich über Angebote in deiner Nähe informieren und erfährst auch, wie du selbst eine Solawi aufbauen kannst: www.solidarische-landwirtschaft.org

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