Blüht die Ackerkratzdistel auf dem Feld, sind Insekten schnell zur Stelle (Foto: Katharina Schertler)

Arten - rette sie, wer kann

Wie Landwirte die Natur schützen

19.06.2018

70 Prozent der verschwundenen Biodiversität hat die moderne Landwirtschaft auf dem Gewissen, sagen Experten. Und die Geschwindigkeit, mit der wir die biologische Vielfalt auf der Erde zerstören, nimmt zu. Letzte Hoffnung: eine Landwirtschaft, die zugleich Naturschutz ist.

Von Marta Fröhlich

Anbauflächen wie riesige Schachbretter, Raps, Mais, Weizen bis zum Horizont. Immer mehr Ackerflächen erstrecken sich übers Land. Mehr als die Hälfte der Fläche der Bundesrepublik Deutschland wird landwirtschaftlich bearbeitet. Mit klarer Tendenz: Landwirte nutzen ihre Flächen immer intensiver, Monokulturen haben längst vielfältige Fruchtfolgen abgelöst. Diese werden so stark gedüngt, dass Boden und Wildpflanzen leiden und zu viel Nitrat in unseren Gewässern landet. Artenreiche Wiesen und Weiden hingegen werden immer weniger. Magergrünland, das nur wenig Ertrag verspricht, wird aufgedüngt, um Wiesen zu schaffen, auf denen genug Futter für die Viehhaltung wächst. Moore werden entwässert, um Nutzland zu erhalten. Das hat Konsequenzen - vor allem für die Biodiversität.

Was bedeutet Biodiversität?

Kornblume

Bienen nehmen Pflanzen wie die Kornblume sehr gern an (Foto: Katharina Schertler)




Biodiversität oder biologische Vielfalt bezeichnet die Unterschiedlichkeit sowohl lebender Organismen als auch von ganzen Ökosystemen. Damit umfasst sie die Vielfalt der Arten - zum Beispiel von Pflanzen oder Vögeln -, darüber hinaus aber auch die Vielfalt der Ökosysteme, in denen die verschiedenen Pflanzen und Tiere leben, also auch ganze Biotope. Dabei geht es auch um die genetische Vielfalt, zum Beispiel auch von Saatgut.


Das Bundesamt für Naturschutz hat bereits 2006 festgestellt, dass etwa ein Viertel jener Biotoptypen in Deutschland, die zu Nutzfläche umgewandelt wurden, nicht wieder regenerierbar sind. Sie sind für immer verloren. Mit den Lebensräumen sterben auch die Arten aus. Mit der verringerten Vielfalt an Pflanzen schrumpft das Nahrungsangebot für Insekten. 70 Prozent weniger von ihnen zählten Forscher im Vergleich zu vor 60 Jahren in Deutschland. Werden die Insekten weniger, verschwinden auch die Vögel. Ökosysteme kommen ins Stolpern.

Der TEEB-Interimsreport für Landwirtschaft und Ernährung, der unter anderem von der EU-Kommission und den Vereinten Nationen angestoßen wurde, zeigt, dass die weltweite Landwirtschaft für etwa 70 Prozent des Verlustes der Biodiversität verantwortlich ist. Das kann auch Karin Stein-Bachinger vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) bestätigen. Sie forscht seit 30 Jahren zu den Zusammenhängen zwischen Landwirtschaft und Naturschutz. "Natürlich dient die landwirtschaftliche Praxis in erster Linie der Produktion von Lebensmitteln. Dabei soll der Erhalt der Artenvielfalt aber einen wichtigen Stellenwert einnehmen. Das müssen wir realistisch sehen. Die ökologische Landwirtschaft bietet nachweislich eine sehr gute Möglichkeit, das Ökosystem vielfältiger zu gestalten und zu schützen", sagt sie.

Naturschutz auf allen Ebenen

Denn Bauern, die nach deren Prinzipien wirtschaften, verzichten per se auf mineralische Stickstoffdünger und chemisch-synthetische Pestizide und schützen so Boden und Gewässer. Tierhaltung ist an die Fläche gebunden. Damit tragen sie dafür Sorge, dass anfallender Mist und Gülle auf dem eigenen Land ausgebracht werden und nicht zur Überdüngung führen. Zudem bedeutet das: Landwirte halten nur so viele Tiere, dass sie das Futter überwiegend auf eigenen Flächen anbauen können. Statistiken zeigen, dass Biobauern doppelt so viel Grünland bewirtschaften wie konventionelle Landwirte. Eine umweltverträgliche Landwirtschaft, die deutlich weniger in den Naturhaushalt eingreift, sowie eine vielfältige Fruchtfolge, zum Beispiel ein Wechsel von Kleegras und Getreide in Kombination mit Blütenpflanzen, steigern zusätzlich die Bodenfruchtbarkeit.

 

Auf Grünland wie dieser Glatthaferfläche können zahlreiche Pflanzenarten blühen (Foto: Katharina Schertler)

 

 

Am Waldrand schützen stehen gelassene Sträucher und Hecken Insekten und Vögel (Foto: Katharina Schertler)

 

 

Beweidete Strueobstwiesen nützen sowohl Landwirt als auch der Artenvielfalt (Foto: Katharina Schertler)

 

 

Brutvögel wie die Feldlerche profitieren von der Vielfalt an Wildkräutern auf Ökoackern (Foto: Imago)

 

 

Der Kiebitz ist vom Aussterben bedroht, da er nicht mehr genug Bodenbrutplätze findet (Foto: Imago)

 

Untersuchungen haben gezeigt, dass Biobetriebe im Durchschnitt 50 Prozent mehr naturnahe Randstrukturen pflegen als ihre konventionellen Nachbarn. Diese unbewirtschafteten Lebensräume am Rand von Feldern und Wiesen wie zum Beispiel Hecken, Säume, Baumreihen und Gewässer sind wertvolle Heimstatt für Hunderte Arten von Pflanzen und Vögeln. Auf den Äckern finden sich 25-mal mehr Ackerwildkräuter und neunmal so viele Ackerwildkrautarten - auch in voller Blüte. Das führt zu mehr Insekten und Brutvögeln. So ließen sich bei einer Studie siebenmal mehr Reviere von Kiebitz und Feldlerche im Vergleich zur gleich großen konventionell bewirtschafteten Fläche feststellen.
Bereits 2005 nahm eine wissenschaftliche Auswertung 76 Vergleichsstudien in den Blick. In allen Studien ging es um die Effekte ökologischer Bewirtschaftung auf Flora und Fauna der Agrarlandschaft. 66 weisen positive Wirkungen aus. Dabei spielten auch die Langzeitfolgen eine Rolle. Je länger und je breiter in der Fläche diese Art der Landwirtschaft betrieben wird, je größer die Artenvielfalt ist, desto stabiler ist das Ökosystem.

Warum brauchen wir ein stabiles Ökosystem?

Doch warum ist ein stabiles Ökosystem mit einer reichen Vielfalt an Arten und Biotopen überhaupt so wichtig? "Wir profitieren in vieler Hinsicht von der Natur", sagt Stein-Bachinger, sei es durch die Bildung fruchtbarer Böden oder die Produktion von Lebensmitteln, Holz und anderen Rohstoffen. "Intakte Ökosysteme sind dabei sehr wichtig für die Aufrechterhaltung dieser verschiedenen Ökosystemleistungen", betont die Expertin. Sie beeinflussten wesentlich das Klima und schützten vor Überschwemmungen und Erosion. "Nicht zu verachten ist auch der Erholungswert, der eindeutig in vielgestaltigen Kulturlandschaften höher ist. Wir kennen auch noch lange nicht alle Abhängigkeiten zwischen Pflanzen und Tieren und wissen nicht, welche Auswirkungen Ungleichgewichte in Ökosystemen vor allem langfristig haben können." Laut der Forscherin seien bestimmte Arten sehr spezialisiert. Welche Folgen es hat, wenn sie wegfallen, wüssten wir nur zum Teil. Fehlen beispielsweise Wildkräuter, wird vielen Vogel-, Insekten- und anderen Tierarten der Agrarlandschaft die Nahrungsgrundlage entzogen, sodass auch ihre Zahl zurückgeht.

 

Lassen Landwirte ihre Stoppelfelder länger unumbrochen, bietet das Heimstatt für Pflanzen, Insekten und Vögel (Foto: Katharina Schertler)

 

Neben dem großen Ganzen sieht die Agrarwissenschaftlerin aber auch für die Landwirte ganz konkrete Vorteile in der Artenvielfalt. "Schließlich leben die Nützlinge von den Schädlingen. Wenn ich die Schädlinge ausrotte, schade ich auch meinen Helfern", sagt sie, "man darf nicht vergessen: Insekten sind unsere maßgeblichen Bestäuber, ohne die es zu hohen Ertragsverlusten in der Landwirtschaft käme."
Der Mensch ist also angewiesen auf die Leistung der Insekten. Ähnlich verhält es sich mit anderen Ökosystemdienstleistungen, die maßgeblich von der Artenvielfalt abhängen. So konnten Wissenschaftler im sogenannten Jena-Experiment - einer Langzeitstudie über 15 Jahre - messen, dass sich mit einem Anstieg der Vielfalt auch die Stickstoff- und Phosphorgehalte im Boden zum Positiven verändern. Nährstoffe werden also besser gebunden und fördern so das Wachstum der angebauten Pflanzen. Wichtige Mikroben und Kleinsttiere siedeln sich an und lockern den Boden auf. So kann er auch mehr Regenwasser speichern. Die Vielfalt der Ackerwildkräuter sorgt für mehr Wurzeln im Boden, die vor Erosion schützen. Das hat langfristig einen positiven Effekt auf den Ertrag. Artenvielfalt zahlt sich also im wahren Wortsinn aus.

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