Digitale Tools im Stall, Roboter in der Gärtnerei, Drohnen über dem Acker: Die Digitalisierung in der Landwirtschaft hat viele Facetten (Foto: Olaf Tamm)

5 digitale Helferlein

Unsere Highlights aus 50 Jahren Bioland

07.06.2021

Selbstfahrende Staubsauger und Rasenmäher kennst du bestimmt, aber gibt es Ähnliches auch in der Landwirtschaft? Wie werden Künstliche Intelligenz, GPS und Drohnen sinnvoll eingesetzt? Wir zeigen dir, wie der Bio-Landbau modern und digital funktioniert.

Von Brigitte Stein und Meike Fredrich

Mit den Augen und Ohren einer Kuh

Warum bleiben Kühe wie angewurzelt am Stalltor stehen, wenn sie doch raus auf die Weide dürfen? Warum wollen sie manchmal nicht in den Melkstand? Im Landwirtschaftlichen Bildungszentrum (LBZ) Echem in Niedersachsen lernen Auszubildende, das Verhalten von Rindern besser zu verstehen. Eine Virtual-Reality-Brille und ein Fledermausdetektor helfen dabei.

Dank VR sehen Menschen die Umgebung wie Rinder (Foto: Benito Weise)

 

Denn Kühe hören Infraschall und vor allem Ultraschall sehr deutlich, was Menschen nicht können. Sehr hohe Töne signalisieren den Fluchttieren, dass Gefahr droht. Benito Weise vom LBZ rät den Auszubildenden daher: „Hören Sie auf die Geräusche in Ihrem Stall und beseitigen Sie jedes unnötige Quietschen.“

Auch der Sehsinn der Kühe unterscheidet sich stark von unserem. Kühe haben ein weites Sehfeld von 330 Grad, nahezu einen Rundumblick. Scharf ist das Bild aber nur in einem schmalen Streifen im vorderen Bereich. Wie Rinder ihre Umgebung, den Weg durch den Stall oder in den Melkstand wahrnehmen, zeigt die „Echemer Kuhbrille“. Diese Virtual-Reality-Brille filmt quasi die Umgebung und gibt die Aufnahmen in Echtzeit so wieder, wie sie für eine Kuh erscheinen würden - und das ist in einer von Menschen strukturierten Umgebung manchmal gar nicht so einfach.

Das nächste Projekt, an dem das LBZ-Team in Echem tüftelt, soll die Welt der Pferde sichtbar machen. Auch nach Brillen mit Hühner- oder Bienenperspektive sei schon gefragt worden.

 

Drohnen in der Landwirtschaft

Aus der Vogelperspektive entstehen viele spannende Fotos oder Videos. Sei es im Urlaub, auf Hochzeiten oder bei der Wanderung durch den Wald. Doch mit Drohnen aufgenommene Bilder machen nicht nur optisch etwas her, sondern haben auch einen praktischen Nutzen. So helfen sie Landwirt*innen beispielsweise vor dem Mähen dabei, Rehkitze zu retten. Da die Tiere sich bei Gefahr in hohem Gras verstecken, können sie durch die Drohnen geortet und vor den Mäharbeiten gerettet werden.

Wildtierschutz beim Biohof Bauer Stolze: Vor dem Mähen fliegt die Drohne inkl. Wärmebildkamera über das Feld - gleich geht's los (Foto: Stolze)

 

Darüber hinaus können Drohnenbilder auch Infos zum Zustand von Pflanzen und Böden liefern: Leiden sie unter Wassermangel oder Krankheiten? Welche Unkräuter gibt es? Ist das Getreide reif? Auch beim Einsatz von Nützlingen zur Schädlingsbekämpfung werden Drohnen eingesetzt. So werfen sie z. B. über Maisfeldern Kapseln mit Eiern einer Wespenart ab, die auf natürliche Art Maisschädlinge im Zaum hält. Eine Drohne braucht dafür etwa vier Minuten pro Hektar. Führt man diese Aufgabe von Hand aus, dauert es etwa fünf Mal so lange.

Weitere Infos dazu findest du im Verbraucherportal des Bundesinformationszentrums Landwirtschaft.
 

 

Jederzeit vernetzt: von der Weide bis zum Stall

460 Kühe, die täglich 12.000 Liter Milch geben, leben auf dem Hof Backensholz in Nordfriesland. Tierwohl und -gesundheit stehen an höchster Stelle. Trotz der Alleinlage des Hofes spielt die Digitalisierung dabei eine zentrale Rolle. Betriebsleiter Jasper Metzger-Petersen hat für eine entsprechende Infrastruktur gesorgt und jeden Stall mit WLAN ausgestattet. Natürlich nicht zum Surfen, sondern zum Auslesen von Daten rund um die Tiergesundheit.

 

Jesper und die Herdenmanagerin Mary-Katherine Jones haben immer alle Infos über jedes Tier parat (Fotos: Olaf Tamm)

 

 

Sensor am Hals: Der blaue Tracker enthält ein Mikrofon

 

 

Die Klauenpflegerin dokumentiert direkt, was sie an den Klauen jeder Kuh entdeckt und welche Behandlung sie vornimmt

 

 

Während die Kuh noch im Melkstand steht, erhält das Team Infos zur Tagesleistung, Gesundheitsparameter und einiges mehr

 

Jede Kuh auf dem Hof trägt ein Halsband mit Sensor inklusive Mikrofon. So kann neben der Kopfhaltung und dem Verhalten auch das Kauen dokumentiert werden. Wenn ein Tier vom Herdenverhalten abweicht, also besonders aktiv oder besonders träge ist, sendet der Sensor ein Signal. Das kann zum Beispiel ein Zeichen für die ideale Brunstzeit sein. "Der Tracker am Halsband der Kühe ist viel effektiver als unser Auge", sagt Jasper.

Wenn im Sommer alle Tiere Weidegang haben und die Funkverbindung zum WLAN abreißt, speichert der Tracker alle Informationen über die jeweilige Kuh. Zur Melkzeit liest der Empfänger im Stall die Daten automatisch aus, analysiert sie und meldet auffällige Kühe genauso zuverlässig wie in der Stallsaison. Jasper erklärt die Vorteile: "Mithilfe des digitalen Hirten erkennen wir Krankheiten in einem so frühen Stadium, dass sie präventiv mit ein wenig Pflege behandelbar sind."

Wenn der Roboter Unkraut jätet

Der Westhof Bio in Schleswig-Holstein baut auf einer Fläche von über 1000 Hektar ausschließlich Bio-Gemüse an – das sind mehr als 1400 Fußballfelder. Viel Platz also für Karotten, Kohl und Co., aber natürlich auch für Unkraut. Da im Biolandbau keine Herbizide verwendet werden dürfen, wird das Beikraut mechanisch bekämpft. Das heißt per Hand oder Maschine. Das muss doch auch automatisch gehen, dachte sich der technikaffine Geschäftsführer Rainer Carstens und kontaktierte im Jahr 2008 die Fachhochschule Westküste. In den folgenden Jahren entstand so ein Jäte-Roboter, dessen System auf Künstlicher Intelligenz, Robotik und Big Data basiert.

In Zukunft soll der Jäte-Roboter sogar komplett solarbetrieben sein (Foto: Westhof Bio)

 

Wie das geht? In den Roboter wurden Unmengen an Fotos eingepflegt, sodass er Nutzpflanzen von Unkräutern unterscheiden kann. Per Kamera-Erfassung erkennt er im Feld dann über 20.000 unerwünschte Pflänzchen in verschiedenen Wachstums-Stadien und kann sie beispielsweise vom Möhrenkraut unterscheiden. Das Unkraut bestimmt der Roboter millimetergenau und zieht es aus dem Boden.

Doch damit hört es nicht auf. Allein bei den Möhren gibt es auf dem Hof weitere automatische Prozesse. So scannt zum Beispiel die Sortieranlage das Aussehen der Karotten und ordnet sie je nach Verwendungszweck. Eine große Hilfe ist auch die Packanlage, die fertig gepackte Kisten auf Paletten stapelt.

 

Robotik im Gewächshaus auf zwei Etagen

Bei Tanja Dworschak-Fleischmann aus Nürnberg spielt die Technik auf gleich zwei Ebenen eine Rolle – und das im wahrsten Sinne des Wortes. Denn das Gewächshaus ihrer Bioland-Gärtnerei KräuterGut ist doppelstöckig. In einer Art Versuchshaus tobt sich das Team inklusive technikaffinem Opa schon seit 2006 mit verschiedenen Ideen aus. Über die Jahre ist so auch das zweistöckige Kernstück entstanden – nach der vollautomatischen Versuchsanlage allerdings bewusst halbautomatisch. Nun trifft ein Mitarbeiter statt der Maschine wieder die Entscheidungen. Die technischen Wartungsarbeiten waren schlichtweg zu hoch, da die Geräte eher für die Industrie als für eine Gärtnerei mit Dreck, Wasser und Co. gedacht waren.

Inzwischen erledigen die Maschinen dort auf Knopfdruck Folgendes: säen, einlagern, auslagern und rücken. Säen die Gärtner*innen eine Pflanze, wird der Wannentisch mit 663 Töpfen automatisch in den Keimraum geschoben. Der Maschinist teilt der Maschine mit, dass es sich beispielsweise um Basilikum handelt, und lagert die Kräuterpflänzchen ein. Die Maschine weiß dann, dass das Basilikum nach drei Tagen fertig gekeimt ist.

 

Kräuter so weit das Auge reicht - und das auf zwei Ebenen (Foto: Pohlmann/Kräutergut)

 

 

Der doppelstöckige Prototyp im Versuchshaus war noch etwas kleiner als das neue Kernstück der Gärtnerei (Foto: Michael Scharrer/Kräutergut)

 

 

Die Dimensionen im neuen Gewächshaus sind deutlich anders (Foto: Jurga/Kräutergut)

 

 

Die Maschinen entlasten die Mitarbeiter*innen in vielen Prozessen (Foto: Uwe Niklas/Kräutergut)

 

 

Während man hinten den Keimraum sieht, ist vorne die blaue Bärbel - einer der beiden Containerumsetzer - aktiv (Foto: Jurga/Kräutergut)

 

Gibt der Mitarbeiter sein Go zum Auslagern, kommen die Wannentische zum Wachsen in den nächsten Raum, die untere Ebene des Gewächshauses. Hier bleiben sie 60 Prozent ihrer Kulturzeit, beim Basilikum sind das drei Wochen. Danach gelangen sie über ein Förderband mit mehr Abstand auf einen Rinnentisch. Nun sind es noch 329 Töpfe, die automatisch bewässert werden. Schorsch und Bärbel bringen die Basilikumpflanzen dann für die letzten zwei Wochen ins zweite Stockwerk. Die beiden sind übrigens keine besonders muskulösen Menschen, sondern nett getaufte Containerumsetzer. Nach oben geht's also per Kranbahn und Seilwinden. Haben die Kräuter die Verkaufsgröße erlangt, kommen sie direkt an die Packstation und werden fertig vorbereitet.

Wie das Ganze abläuft, siehst du hier im Video.

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